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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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erweichen. »Solange es ihr nichts ausmacht, den Sohn in die Praxis nach
Wyoming zu fahren.«
    »Oh.«
    »Sie sind geschieden.«
    »Oh, aha.«
    »In großem Unfrieden
geschieden«, sagte Nat mit einigem Wohlbehagen. »Monate vor Gericht,
Rechtsanwälte über Rechtsanwälte, vierzigtausend Dollar vergeudet, um
fünftausend zu bekommen... jetzt wissen Sie’s.«
    »Das tut mir leid.«
    »Am Ende hat sie beinah ohne
einen einzigen Penny dagestanden, hat die Stelle im Geschenkeladen hier in
Senior City angenommen.«
    »Sie arbeitet im Geschenkelädchen?«
    »Im Augenblick, ja.«
    Er schaute auf Noah, der eine
Schale mit braunen Kuchen gefährlich schräg hielt. »Also«, sagte Nat, »Binky
und ich haben vor zu heiraten.«
    Noahs Schale hatte gehörig
Schlagseite. Delia sagte: »Oh! Herzlichen Glückwunsch«, bückte sich und hob ein
Stückchen Kuchen vom Teppich auf.
    »Ehrlich?« fragte Noah seinen
Großvater.
    »Ehrlich. Aber erzähl es den
Mädchen noch nicht, bitte? Zu allerallererst sollten es eigentlich deine Mama
und die Tanten erfahren.«
    »Willst du dann hier
ausziehen?« fragte Noah.
    »Ich fürchte, nein, mein Sohn.«
Nat wandte sich an Delia. »Noah gefiel mein altes Haus besser«, sagte er.
    »Beim alten gab es ein voll
cooles Baumhaus hinten«, erklärte Noah ihr.
    »Aber es gab keinen Aufzug. Und
keinen Griff über der Badewanne. Und keinen Krankengymnastikraum für alte
Knacker.«
    »Du bist kein alter Knacker«,
sagte Noah.
    »Außerdem gibt es das
Kleingedruckte in meinem Vertrag mit Senior City«, meinte Nat zu Delia. »Schönes
Problem mit der Leitung, da können Sie Gift drauf nehmen. Das Apartment hat
meine gesamten Rücklagen geschluckt, nur: das Mindestsalter hier ist
fünfundsechzig. Binky ist achtunddreißig.«
    »Und was wird aus ihren
Söhnen?« fragte Delia.
    »Ja, das wär’ was! Rockmusik in
der Cafeteria, Skateboards in den Gängen... Aber ihre Söhne bleiben bei den
Großeltern. Der eine ist schon im College, und der andere steht kurz davor.
Trotzdem spielt die Leitung verrückt, und ein paar Nachbarn sind mir auch böse,
weil Männer in diesen Gefilden eine Rarität sind. Geplant war doch, daß ich
eine Mitbewohnerin heirate, kein leckeres Mädchen aus dem Geschenkelädchen.«
    »Ich finde Ihre Wahl genau
richtig«, sagte Delia. Sie meinte es ehrlich. Sie hatte Binky ins Herz
geschlossen, Binky, die all ihre Gespräche mit bewundernden Ausrufen und
aufmunternden Bemerkungen untermalte.
    Deshalb versicherte Delia Binky
beim nächsten Treffen ausdrücklich, daß Nat ein gehöriger Glückspilz war.
    »Ach, vielen Dank«, strahlte
Binky.
    »Wissen Sie schon, wann?«
    »Wir meinen, vielleicht im
Juni.«
    »Oder März«, schaltete Nat sich
ein.
    Binky verdrehte in gespielter
Verzweiflung die Augen. Der März stand vor der Tür; der Februar war schon halb
vorüber. »Er hat keine Ahnung, was da noch alles auf uns zukommt.«
    »Oh, planen Sie eine große
Hochzeit?«
    »Ach, nicht so groß, aber...
Das erste Mal habe ich heimlich geheiratet. Damals war ich im ersten Semester
auf dem Washington College und habe vom Hörsaal weg geheiratet. Diesmal hätte
ich am liebsten das ganze Drum und Dran.«
    »Ich bin Trauzeuge«, rief Noah.
    »Tatsächlich!«
    »Ich halte die Ringe.«
    »Sie kommen auch, nicht.wahr,
Delia?« fragte Nat.
    »Wenn ich eingeladen bin, komme
ich natürlich gern.«
    »Klar sind Sie eingeladen«, sagte
Binky und tätschelte Delias Hand, lächelte ihr Grübchenlächeln.
    Aber später, auf der Heimfahrt,
erzählte Noah Delia, daß Binky, als er kam, gerade geweint hatte.
    »Geweint! Warum?«
    »Ich weiß nicht, aber sie hatte
ganz rote Augen. Sie tat, als wäre nichts, aber ich hab’s genau gesehen. Und
als sie in der Küche war und das Telefon läutete, rief Großvater: ›Geh nicht
ran!‹, und sie ist auch nicht rangegangen. Und er auch nicht; sie ließen es
einfach läuten. Ich hab’ dann endlich gefragt: ›Soll ich rangehen‹, doch er hat
gemeint, ich soll mich nicht drum kümmern. Sagte: ›Wahrscheinlich ist das nur
Dudi.‹«
    »Wer ist Dudi?«
    »Eine meiner Tanten.«
    »Oh«, Delia überlegte. »Aber
wieso wollte er nicht mit ihr reden?«
    Er zuckte die Achseln. »Keine
Ahnung«, sagte er. »Kümmere dich lieber um den Tachometer, Delia.«
    »Na, vielen Dank.«
    In den letzten drei Wochen
hatte sie zwei Strafmandate bekommen. Es lag wahrscheinlich an diesem flachen,
weiten Land. Die Geschwindigkeit kam ihr einfach entgegen, und ehe sie sich’s
versah, flog sie

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