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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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überlegte erschrocken, ob
sie Lockenwickler trug. Beinah hätte sie nachgefühlt, bis ihr einfiel, daß sie sich
seit ihrer Schulzeit nie mehr die Haare eingedreht hatte. »Du meine Güte. Ich
muß nach Hause«, sagte sie.
    »Warten Sie!« sagte Adrian.
»Würden Sie vielleicht... Ich könnte Ihnen einen Kaffee anbieten?«
    »Kaffee?«
    »Oder Tee? Kakao? Oder etwas
Alkoholisches?«
    »Gut«, sagte sie, »Kakao wäre
vielleicht nicht schlecht. Kakao wäre schön. Ich meine, zu dieser Tageszeit
Koffein, da könnte ich wahrscheinlich... aber ist es auch bestimmt nicht zu
umständlich?«
    »Überhaupt nicht umständlich«,
erklärte er. »Kommen Sie mit herein.«
    Er führte sie zu einer Lücke
zwischen den Berberitzenbüschen. Ein gepflasterter Weg schlängelte sich zum
Haus, einem jener schnörkeligen viktorianischen Holzhäuser, die heutzutage der
Traum junger Paare waren. Die Haustür hatte ein Fenster aus pastellfarbenen
Milchglasrhomben. Delia fühlte einen Anflug von Unbehagen. Sie wußte überhaupt
nichts über diesen Mann! Und keine Menschenseele ahnte, wo sie war.
    »Wenn ich um diese Zeit wach
bin, dann schlafe ich nicht mehr ein«, sagte Adrian, »also mache ich mir eine
Kanne — «
    »Was für eine hübsche Veranda!«
rief Delia. »Vielleicht sollten wir hier unseren Kakao trinken.«
    »Hier?«
    Er machte auf der obersten
Stufe halt und sah sich um. Die Veranda sah eigentlich erbärmlich aus. Die
Dielen waren schlachtschiffgrau und die Möbel bissiggrün gestrichen. »Meinen
Sie nicht, daß Sie frieren?« fragte er.
    »Kein bißchen«, erklärte sie,
obwohl es ihr jetzt im Stehen kalt vorkam. Sie stopfte beide Fäuste in die
Taschen ihres Hausmantels.
    Er sah sie einen Augenblick lang
an. Dann sagte er: »Aha, ich verstehe«, und sein Mund zog sich zu einem
Lächeln.
    »Aber wenn Ihnen kalt
ist«, sagte sie und wurde rot.
    »Ich verstehe«, sagte er. »Man
kann nicht vorsichtig genug sein.«
    »Oh, ganz bestimmt nicht!
Großer Gott!«
    »Ich mache Ihnen keinerlei
Vorwürfe. Wir trinken unseren Kakao hier draußen.«
    »Wirklich«, sagte sie, »ich
kann doch hineinkommen?«
    »Nein, Sie warten hier. Ich
bringe ihn heraus.«
    »Bitte«, sagte sie. »Bitte
lassen Sie mich hinein.«
    Und weil sie fand, das Hin und
Her würde sonst ewig weitergehen, nahm sie eine Hand aus ihrer Tasche und legte
sie auf seine Hand. »Ich will«, sagte sie.
    Sie wollte gern hereinkommen,
meinte sie. Sie meinte nur das, doch sofort, als sie die Worte gesagt hatte,
begriff sie, daß sie mehr bedeuteten, und sie ließ ihre Hand sinken und machte
einen Schritt zurück. »Oder vielleicht...« sagte sie. »Ja, die... Veranda,
warum trinken wir unseren Kakao nicht auf der...« Und sie zog sich einen Stuhl
heran und setzte sich. Der ungepolsterte Sitz war eiskalt, ihr blieb einen
Augenblick die Luft weg, als hätte sie eine atemberaubende Neuigkeit erfahren
oder etwas wäre ihr in den Sinn gekommen, woran sie nie zuvor gedacht hatte.
     
     
     
    4 »Ich habe Eliza schon Bescheid
gesagt, als sie uns am Flughafen abgeholt hat«, sagte Linda. »Ich habe gesagt:
›Ein Gutes hat es wenigstens, daß Vater tot ist, immerhin brauche ich nicht
mehr mit dir in einem Zimmer zu schlafen, Eliza.‹ In Anbetracht ihrer
Schnarcherei.«
    Delia sagte: »Ja, aber — «
    »›Und die Zwillinge brauchen nicht
bei Susie übernachten‹, habe ich gesagt. Wahrscheinlich passen sie mit mir auch
noch in Vaters großes Bett. Und wie ich ins Haus komme, was sehe ich?«
    »Erst wollte ich, daß du da
wohnst, aber es kam mir so..., als ich das Bett beziehen wollte, kam es mir
so...«
    »Gut, dann beziehe ich das Bett
selbst«, sagte Linda. »Eins sage ich dir: ich schlafe ganz bestimmt nicht bei
Eliza, wenn hier ein ganzes Zimmer so gut wie leer steht.«
    Sie standen in der offenen Tür
zum Zimmer ihres Vaters, starrten auf die herzzerreißende Ordnung, die trübe
Luft voll Staubteilchen, die weiße Baumwollbettdecke unnatürlich glatt über der
Matratze. Linda hatte sich nach der Reise noch nicht umgezogen, strahlte immer
noch Konzentration und Effizienz aus, wie manche Leute auf Reisen. Sie
besichtigte, soweit Delia sah, das Zimmer ohne jegliche Gefühlsanwandlung.
»Ansonsten habt ihr keine Zeit vergeudet und alles auf den Kopf gestellt«,
sagte sie. »Schächte für die Klimaanlage an allen Ecken und Enden, Männer von
der Baumschule, die sämtliche Büsche herausreißen, und ich weiß nicht, was noch
alles.«
    »Oh, ach, das ist — «
    »Dies ist wohl Sams

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