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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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Läufer ab.
    »Katie O’Conneli hieß sie«,
sagte die Frau. Von der kurzen Treppe war sie außer Puste. Nach Luft
schnappend, tätschelte sie ihren großen pinkfarbenen Busen. »Ich glaube, sie
war aus Delaware. Sie wollte hier für Zeke Pomfret arbeiten — Zekes gute alte
Miss Percy war gerade gestorben — Katie brauchte eine Bleibe, und ich sagte:
›Na gut‹, sagte ich, ich hatte ja keine Ahnung; ›Gut, habe ich gesagt‹, dachte,
schließlich wäre es egal, ob ich an Männer oder Frauen vermiete. War es aber
nicht: ›Wo ist dies, wo ist das, gibt es keine frischen Handtücher, gibt es
keine neue Seife...‹ Also, ich bin doch kein Hotel! Ich hoffe, Sie glauben
nicht, ich bin ein Hotel!«
    »Natürlich nicht«, sagte Delia.
    »Ich vermiete Zimmer, mehr
nicht. Vor drei Jahren habe ich das Haus gekauft. Renovierungsbedürftig, hieß
es damals. Ich habe es gekauft, als ich mein Maklerexamen bestanden hatte. Ich
wollte es renovieren und weiterverkaufen, aber bei der Marktlage hatte ich nie
Geld, also wohne ich selbst hier und vermiete zwei Zimmer. Aber kein Essen;
hoffentlich wollen Sie kein Essen. Diese Katie, immerzu: ›Oh, ich stelle nur
eben meine Milch in Ihren Kühlschrank‹ und kaum sagst du ja, steht sie in
meiner Küche und kocht. Also, in meiner Küche koche nicht mal ich! Das Zimmer
ist absolut-ohne-alles.«
    Zum Beweis öffnete sie die Tür
rechts an der Treppe. Delia folgte ihr in einen langen engen Raum, eine Wand
einwärtsgebogen unter der Balkenlast, an jedem Ende ein Fenster. Ein Eisenbett
stand unterm Vorderfenster, und an der anderen Wand eine niedrige orange-braune
Kommode. Es roch nach Hornissennest — trocken, scharf und muffig, vielleicht
kam der Geruch von der verblichenen Rosentapete.
    »Katie hatte Vorhänge vor den
Fenstern«, sagte die Frau, »aber die hat sie mitgenommen, als sie ausgezogen
ist. Letzten Donnerstag mit Larry Watts; wir sind fest überzeugt, sie sind nach
Hawaii.«
    »Der... Larry Watts, der sich
von seiner Frau getrennt hat?« fragte Delia verwirrt.
    »Oh, wußte gar nicht, daß Sie
ihn kennen. Genau... Ich hätte es mir eigentlich an fünf Fingern abzählen
können: er kam, um seinen Regenmantel zu holen — den Regenmantel, den er unten
an der Garderobe vergessen hatte. Da haben sie sich kennengelernt. Danach ist
nur klar, daß er wieder getürmt ist, zum zweiten Mal in zwei Jahren ist er von
seiner Frau weg. Ganz abgesehen davon, daß Zeke Pomfret sich schon wieder ein
neues Mädchen suchen muß, wo die arme Miss Percy kaum unter der Erde ist.«
    Sie öffnete schwungvoll eine
Tür in der Zimmerecke; dahinter verbarg sich der nicht besonders große,
begehbare Schrank. Drei Drahtbügel bewegten sich klimpernd. »Badezimmer ist
überm Flur, Badewanne und Dusche«, sagte sie, »an Wochenenden müssen Sie es mit
Mr. Lamb teilen. Ich schlafe unten. Miete kostet zweiundvierzig Dollar pro
Woche. Nehmen Sie’s?«

Zweiundvierzig Dollar war
weniger, als in den meisten Hotels eine einzige Nacht kostete. Und ein Hotel
war nicht so angenehm spartanisch. Delia sagte: »Meinen Sie, es ist in Ordnung,
daß ich kein Mann bin?«
    Die Frau zuckte die Achseln: »Sonst ist noch keiner vorbeigekommen«, sagte sie.
    Delia ging zum Bett hinüber,
die Laken waren weiß und die weiße Wolldecke kahl vom vielen Waschen. Als sie
mit der Handfläche prüfend die Matratze herunterdrückte, gab sie den gleichen
blechernen Ton wie die Kleiderbügel von sich.
    Sie sagte: »Ich nehme es auf
alle Fälle.«
    »Prima. Übrigens, ich heiße
Belle Flint.«
    »Delia Grinstead«, sagte Delia
und überlegte dann, ob sie besser einen falschen Namen angegeben hätte. Doch
Belle war beruhigenderweise wenig interessiert. Sie besah sich im Spiegel über
der Kommode und schob ihre Locken zurecht.
    »So«, sagte Delia, »muß ich...
einen Vertrag unterschreiben?«
    »Vertrag?«
    »Ich meine...«
    Es war allzu offensichtlich,
daß sie noch nie ein Zimmer gemietet hatte. »Ich meine, einen... Mietvertrag?«
fragte sie.
    »Großer Gott, nein, Sie zahlen
im voraus, jeden Samstagmorgen«, sagte Belle und bleckte vor dem Spiegel ihre
Schneidezähne. »Mal sehen, heute ist Montag... Geben Sie mir dreißig Dollar;
das reicht für die Woche. Wollen Sie lange bleiben?«
    »Oh, vielleicht«, sagte Delia
absichtlich unbestimmt und wühlte in ihrer Strandtasche das Unterste zuoberst.
Belle streckte den Kopf vor, untersuchte ihr Doppelkinn, das wie ein
fleischiges Kissen darunter klemmte. Ihr gesamtes Gesicht war wie ein

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