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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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recht erinnere. Oder
gibt es keine Carroll Street?«
    »Doch«, sagte Delia, »ich dachte
immer, das seien die anderen Carrolls. Die von der Unabhängigkeitserklärung.«
    »Nein, mein holdes Herzchen,
das sind unsere Carrolls«, sagte Eliza gönnerhaft. Daß sie recht hatte,
versetzte sie in bessere Laune.
    Sie gingen weiter, vorbei an
Zahnarztpraxis und Optiker. »Ich glaube sogar, daß wir mit dem Menschen
verwandt sind, der die Stadt gegründet hat«, sagte Eliza. »Aber nur
eingeheiratet.«
    »Du meinst George Bay?«
    »Genau.«
    »George Bay, der Deserteur?«
    »Na, du hast gut reden, wenn
ich das mal sagen darf.«
    Delia zuckte zusammen.
    »Also bin ich heute morgen
hierhergefahren«, sagte Eliza, »und habe mir angesehen, wo du stecken könntest.
Es gibt nur ein Gasthaus, abgesehen von dem vergammelten kleinen Motel in der
Union Street. Und als du da nicht warst, dachte ich, ich passe mal auf, ob du
hier am Platz auftauchst. Der Platz sieht jedenfalls so aus, als würde jeder
Einwohner der Stadt mindestens einmal am Tag hier vorbeikommen.«
    Jetzt waren sie vor Mr.
Pomfrets Kanzlei angelangt. Wenn er schon von seinem Mittagessen zurückgekehrt
war, sah er sie sicher Vorbeigehen. Miss Grinstead in Begleitung! Ins Gespräch
vertieft! Hoffentlich saß er noch mit seinen Freunden im Bay Arms Hotel. In der
George Street steuerte sie mit Eliza auf die linke Seite. Vorbei am ›Haustierhimmel‹,
wo ein Junge neben den Futterflockensäcken Gummispieltiere für Hunde
dekorierte.
    »Delia«, sagte Eliza, »Mr.
Sudler hat doch unrecht, oder? Ich meine, hast du... irgendwelche Probleme,
über die du mit mir reden möchtest?«
    »Oh, nein«, sagte Delia.
    »Aha.« Eliza sah plötzlich
beinah hübsch aus. »Habe ich nicht recht? Habe ich’s nicht gesagt!« rief sie.
»Ich habe ihm gesagt, du brauchtest garantiert nur eine kleine Atempause. Weißt
du, was die Polizei gesagt hat? Als wir sie angerufen haben, sagte der
Polizist: ›Leute‹, sagte er, ›ich wette jede Summe, sie ist gesund und munter.‹
Sagte: ›Ausgerechnet in den Ferien kommen erstaunlich viele Frauen auf die
glorreiche Idee, von ihrer Familie abzuhauen.‹ Wußtest du das? Ist das nicht
komisch?«
    »Hm«, sagte Delia. Ihre Füße
schienen wie aus Blei. Sie konnte sie kaum noch voranschleifen.
    »Ich nehme an, der hatte
reichlich Erfahrung, wo er in Bethany Beach Dienst tut.«
    »Ja, das denke ich auch«, sagte
Delia.
    »Sollen wir deine Sachen holen,
Dee?«
    »Meine Sachen«, sagte Delia.
Sie blieb abrupt stehen.
    »Ich parke dahinten am Platz.
Hast du Gepäck?«
    Delia spürte eine Härte in sich
aufsteigen — wie Widerspruchsgeist, nur wilder. Sie war erschrocken, wie stark
das Gefühl war. »Nein!« sagte sie. Sie schluckte. »Ich meine, ich komme nicht
mit dir.«
    »Wie bitte?«
    »Ich will... ich brauche... ich
wohne hier, ich meine, ich arbeite hier, ich habe hier eine Stelle und eine
Wohnung. Verstehst du das? Da drüben wohne ich«, sagte Delia und fuchtelte mit der
Hand zu Belles Haus hinüber. Die Gardinen unten in den Fenstern glichen
Mullverbänden, stellte sie fest.
    »Du hast ein Haus?« fragte
Eliza ungläubig.
    »Na ja, ein Zimmer. Komm, sieh
es dir an! Komm!«
    Sie faßte Eliza am Arm und zog
sie in Richtung Veranda. Eliza sträubte sich, ihr Arm war so steif wie ein
Brathähnchenflügel. »Es gehört einer Maklerin «, erklärte Delia, als sie
die Tür öffnete. »Eine patente Frau, sehr nett. Die Miete ist ausgesprochen
niedrig.«
    »Das kann ich mir denken«,
sagte Eliza, die sich prüfend umsah.
    »Ich arbeite für einen
Rechtsanwalt gleich um die Ecke. Er ist der einzige Rechtsanwalt hier und
bearbeitet alle Fälle, Testamente, Grund und Boden... und ich bin völlig allein
für sein Büro verantwortlich. Wette, das hättest du mir nie zugetraut? Du
meinst sicher, ich mache die Büroarbeiten zu Hause nur, weil ich sie früher
auch für Vater gemacht habe, aber ich stelle fest...«
    Sie stiegen die Treppe hinauf,
Delia voran. Belle könnte eigentlich ein paar Bilder aufhängen. Oder mal tapezieren.
»Praktisch gehört mir die ganze Etage«, sagte sie, »weil der andere Mieter die
Woche über verreist ist. Hier, ich habe mein eigenes Badezimmer!« Sie wies mit
der Hand vage den Flur entlang. Dann schloß sie ihr Zimmer auf, öffnete die Tür
und ging hinein. »Mein Reich«, sagte sie und stellte ihre Handtasche auf die
Kommode.
    Eliza kam langsam näher.
    »Ist es nicht perfekt?« fragte
Delia. »Ich weiß, auf den ersten Blick

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