Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
Vom Netzwerk:
bißchen
sauer. Weißt du, was sie mich glatt gefragt hat?« Belle stand auf und folgte
Delia in den Flur; sie wollten in die Küche, den Katzennapf holen. George
waberte wie ein Schatten unentschlossen hinter ihnen her. »Also: ich klage ihr
meinen Liebeskummer«, sagte Belle. »Kein Mann in Sicht, der mich erretten
könnte, klage ich, da fragt sie mich tatsächlich, warum ich nie an Mr. Lamb
gedacht habe.«
    »Mr. Lamb!«
    »Stell dir das vor! Dieser
trostlose Langweiler, dieser schusselige Esel! Ich sage: Vanessa, was hältst du
eigentlich von mir? Glaubst du im Ernst, ich gehe mit ‘nem Typen, der sein
Leben in möblierten Zimmern fristet? Ich meine, denk doch mal nach: Kein Mensch
nennt ihn beim Vornamen, ist dir das schon aufgefallen? Oder: Wie heißt Mr.
Lamb mit Vornamen, schnell?«
    »Hm...«
    »Horace«, sagte Belle finster.
Sie ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. »Ich bin zwar alleinstehend, aber
lebensmüde bin ich noch lange nicht. Was ist das da auf dem Eisschrank?«
    Sie meinte Mr. Millers Haushaltslageplan.
»Damit im Wohnzimmer alles so bleibt, wie Mrs. Miller es hinterlassen hat«,
sagte Delia. »Er hat einen genauen Plan gezeichnet, wo sie den ganzen Kleinkram
stehen hatte.«
    Belle lehnte sich vor; das
mußte sie genauer sehen! Auf dem Rechteck, das den Kaminsims darstellte, stand
in winzigen Druckbuchstaben blaue Vase, Tannenzapfenkerze, Sandkastenfoto,
Uhr.
    »Gott, wie rührend«, sagte
Belle. »Und was soll das? Meint er, das Zeug löst sich sonst in Luft auf, du
lieber Himmel?«
    »So würdest du nie fragen, wenn
du sähest, wie er hier rumläuft«, sagte Delia. »Für jemanden, so auf Ordnung
versessen, ist er eigentlich ein einziger... chaotischer Urknall. Schlicht und
einfach unfähig! Er und Noah hatten ein System, wonach sie saubermachten; sie
haben mehr Durcheinander angerichtet, als sie beseitigten, habe ich
festgestellt; oberflächlich alles bestens, aber hinten im Schrank standen
Töpfe, so angebrannt, die kriegt keiner wieder sauber, Küchentücher mit
Riesenlöchern, Blumentöpfe mit eingegangenen Begonien...«
    Belle betrachtete eingehend den
Lageplan vom Couchtisch: »Großes Paperweight, kleines Paperweight,
Zeitschriften «, deklamierte sie.
    »Er verwahrt sämtliche
Modehefte, die sie immer noch abonniert hat; alles über Klamotten und
Cellulitis und dergleichen.«
    »Ellie Miller hatte nie im
Leben Cellulitis«, warf Belle ein.
    »Kommt ein neues Heft, drapiert
er es anstelle des alten, und das alte wirft er weg.«
    »Das kommt davon, wenn man
einen Menschen zu sehr anhimmelt«, sagte Belle. »Armer Mann, er hat sie auf Händen
getragen! Dabei hat sie eigentlich ‘ne kleine Meise, aber wie du weißt, die
schlauesten Männer sind manchmal hin und weg von Frauen, die eigentlich ‘ne
Meise haben. Als sie weg war, habe ich ihn mal zum Picknick eingeladen, und da
sagte er: ›Oh‹, hat er gesagt. ›Ich glaube, da kenne ich niemanden, aber
trotzdem vielen Dank.‹ Wir reden über einen Schuldirektor, Delia! Der
eigentlich die ganze Stadt kennen müßte! Aber darin war er total von Ellie
abhängig. Ellie ging gern unter Leute, hat Partys gegeben, immer mit Motto:
Aloah-Hawaii, Wildwest-Grillfest... oder im Herbst den Klassenmuttertee, aber
um sowas kümmert Joel sich nicht. Die Klassenmütter kriegen sich gar nicht mehr
zu Gesicht, weil er nichts unternimmt, dabei ist jedes Mädchen in der Stadt wild
drauf, ihm zu helfen.«
    »Wenn sich...«, begann Delia.
    Wenn sich Sam Grinstead davon
eine kleine Scheibe abgeschnitten hätte, wollte sie sagen. Aber sie bremste
sich.
    »Oh, du darfst ihm
sicher helfen«, sagte Belle, die das mißverstand. »Immer langsam, Stückchen für
Stückchen, weißt du? Dann bist du bald unersetzlich.«
    »Na ja, natürlich«, stimmte
Delia bei.
    Das setzte sie voraus. Schon
jetzt, nach zehn Tagen, hatte Mr. Miller sich wieder ›ihren‹ Hackbraten gewünscht;
wortlos hatte er ein Hemd hingelegt, dem ein Knopf fehlte; hinterließ er auf
dem Frühstückstisch nicht mehr die zwanghaften Auftragslisten.
    Aber war es nicht eigenartig,
daß sie es einfach voraussetzte? Anscheinend war sie ein anderer Mensch geworden
— eine Frau, auf deren Unterstützung die Leute selbstverständlich bauten.
    Die Katze strich ihr um die
Füße, schnurrte. »Siehst du?« sagte Delia zu Belle. »Er hat keine
Freßstörungen. Er hat ganz wenig von dem Katzenfutter gefressen, nur einen
Anstandshappen.«
    »Du bist unglaublich, Dee«,
sagte Belle.
     
    * * *
     
    Belle

Weitere Kostenlose Bücher