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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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»Wenn Sie gehen, sagen Sie dann Rick auf
Wiedersehen, ganz laut, damit Papa Sie auch hört?«
    »Natürlich«, sagte Delia.
    »Papa verhält sich manchmal so
verletzend ihm gegenüber.«
    »Ich hätte ihm sowieso auf
Wiedersehen gesagt, das wissen Sie doch.«
    »Ich weiß, aber...« Teensy
holte mit der Hand nach ihrem Vater aus. Er wirkte immer noch harmlos, das X
seiner überkreuzten Hosenträger bog sich auf seinem krummen Rücken.
    Noah gehörte zu den Käufern,
die ihre Erwerbungen schon begutachten müssen, bevor sie sie endgültig nach
Hause tragen. Er raschelte in seiner Tüte, förderte zuerst den Schraubenzieher
zutage, dann grub er tief unten und beäugte verstohlen einen bestimmten
Gegenstand, warf Delia einen verschmitzten Blick zu. Als sie neugierig den Hals
über den Tisch reckte, lachte er begeistert und knäulte die Tüte wieder zu.
Seine beiden Vorderzähne waren so neu, sie wirkten noch zu groß für seinen
Mund.
    Und wie ihm das Haar in die
Augen fiel — wie dicht und ringelig, der feine Glanz; wie gern hätte sie
einfach hineingegriffen. Und seine Stupsnase; die knubbligen
Kleine-Jungen-Warzen an seinem Zeigefinger, als er den Becher anfaßte, den
Teensy ihm brachte. Eine Ecke seines Jackenkragens stand schief hoch. Auf dem
Strickhemd darunter waren Kugelschreiberstriche. Seine Jeans, wußte sie, hatten
zerlöcherte Knie, und an den Füßen trug er hohe, übertrieben gepolsterte,
raffinierte Turnschuhe; anscheinend wie geschaffen für Raumfahrtspaziergänge.
    Er erzählte ihr einen Traum,
den er hatte — langweilig und verworren. Sein Lehrer hatte sich in einen Hund
verwandelt, der Hund kam Noah zu Hause besuchen, und das Zuhause verwandelte
sich in die Schulaula — hatte Delia alles verstanden...
    Delia nickte, lächelte,
lächelte und faltete fest ihre Hände, um nicht nach ihm zu greifen. Als sie
gingen, sagte sie Rick so gefühlvoll auf Wiedersehen, daß ihre Stimme sich
überschlug; glücklicherweise merkte es niemand.
     
    * * *
     
    Belle behauptete, der Kater
hätte Freßstörungen. Sie brachte ihn am späten Montagmorgen in einem leeren
Traube-Nuß-Schokoladenkarton, damit er sich ans Haus gewöhnen konnte, solange
Delia allein war. Noch im Karton hatten sie ihn gleich in Delias Zimmer
gebracht und dort abgesetzt. »Vielleicht ist es Bulimie«, meinte Belle. Sie
ließ sich aufs Bett plumpsen und beobachtete, wie George schnuppernd dem Karton
entstieg. »Kaum ist sein Napf halb leer, miaut er nach mehr; ich schwöre dir,
ich hätte’s nie für möglich gehalten, daß Katzen so berechnend sind. Und wenn,
Gott bewahre, sein Napf doch mal leer ist, veranstaltet er ein regelrechtes
Drama, sobald ich von der Arbeit komme. Großes Gemaunze und Gekratze; dann
fülle ich seinen Napf, und er kommt auf weichen Knien angeschwankt, frißt,
schlabbert eklig rum, und zehn Minuten später, wenn er fertig ist, was macht
er: er kotzt in die Ecke.«
    »Oh, George, was habe ich dir
angetan?« fragte Delia. Er untersuchte schon das Zimmer, beschnüffelte graziös
den Kofferständer.
    »Und sechsmal täglich
marschiert er zum Schrank, reckt sich nach seinem Katzenfutter, kontrolliert,
ob der Vorrat noch reicht.«
    »Mein ganzes Leben«, sagte
Delia, »war ich die ideale Katzenmutter. Nie habe ich den Ort gewechselt; mein
Leben spielte sich in festen Bahnen ab. Nie habe ich mich vom Fleck gerührt.
Plötzlich schwirre ich durch die Gegend... kein Wunder, daß er verunsichert
ist!«
    Sie bückte sich und streichelte
das schwarze M auf seiner Stirn, während Belle sich umsah. »Das Zimmer ist
entsetzlich klein, oder?« fragte sie. »Dein altes war um einiges größer.«
    »Es geht.« Delia versuchte
George ins Badezimmer zu locken. »Siehst du? Dein Katzenklo«, zeigte sie ihm.
»Neugekauft; kein Pappkarton.«
    »Was unternimmst du
Weihnachten, Dee?« rief Belle aus dem anderen Zimmer.
    »Oh, ich bleibe hier.«
    »Weihnachten bei fremden Leuten?«
    »Sie sind nicht da, wenigstens
nicht am Weihnachtstag.«
    »Das ist ja noch schlimmer«,
fand Belle.
    »Ich freue mich eigentlich
darauf.«
    George spazierte ins Katzenklo
und wieder hinaus, wollte mitteilen, daß er begriffen hatte.
    »Komm mit zu meiner Sippe«,
sagte Belle. »Sie wären von dir begeistert.«
    »Nein, vielen Dank, aber...«
    »Oder laß dich von Vanessa zu
ihrer Großmutter einladen.«
    »Das hat sie schon getan, aber
ich habe abgesagt.«
    »Na ja, da ist es auch
garantiert hektisch«, sagte Belle. »Übrigens, auf Vanessa bin ich ein

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