Kleine Abschiede
hatte auch Delias Post
mitgebracht — ein Päckchen von Eleanor und einen Brief von Eliza. In Eleanors
Päckchen war eine gestrickte Bettjacke, damit sie beim Lesen im Bett nicht
fror. Eliza schrieb, daß sie die Allinghams zum Weihnachtsessen eingeladen
hätte. Ich will Dich nicht drängen, aber Du weißt, daß Du auch willkommen
bist, schrieb sie, dann wechselte sie schnell das Thema und berichtete von
Linda. Sie meint, die Zwillinge kämen jetzt in das Alter, wo sie lieber zu
Hause feierten, deshalb sind wir wohl nur mit den Allinghams zusammen, und
Eleanor auch, natürlich... Das Briefpapier duftete schwach nach Nelken (für
positive Gedanken), wie Elizas Schlafzimmer immer.
Noah war sehr aufgeregt wegen
der Katze. Er kam an jenem Tag gleich aus der Schule nach Hause, warf seine
Sachen im hohen Bogen in die Ecke und stürmte rufend durchs Haus: »George?
George?« George versteckte sich natürlich. Delia mußte Noah erklären, wie
Katzen sich verhalten — daß man Katzen nicht verfolgen darf, ihnen am besten
nicht direkt gegenübertritt, alles lieber »schräg« tun soll, sozusagen. »Setz
dich, daß du mit ihm auf gleicher Höhe bist«, riet sie, als George sich
schließlich zeigte. »Sieh ihn ein bißchen von der Seite an. Sprich ganz
freundlich mit ihm.«
»Sprechen? Was soll ich denn
sagen?«
»Sag ihm, wie schön er ist.
Katzen lieben das Wort ›schön‹. Ich glaube, sie mögen den Klang, eigentlich
haben sie für Sprache nichts übrig, aber wenn du das ›Ö‹ schön dehnst, daß es
weich klingt und vibriert...«
»Schö-ö-ö-n«, sagte Noah, und
natürlich kniff George seine Katzenaugen zusammen und lächelte schlau und
selbstzufrieden.
* * *
Am Weihnachtsabend holte Delia
Noah von der Schule ab und fuhr ihn zu seiner Mutter. Die Millers fuhren einen
VW-Käfer. Versehentlich versuchte Delia Noahs Rucksack hinten zu verstauen, bis
ihr einfiel, daß beim Käfer da der Motor war. Außerdem war sie die
Knüppelschaltung noch nicht gewohnt, es war also eine holprige Fahrt. Noah
machte netterweise keine Kommentare. Er saß vornübergebeugt und paßte auf, wo
die Abfahrt nach Kellerton kam. »Meist hat Mama mich abgeholt«, sagte er, »aber
ihr Wagen ist gerade in der Werkstatt. Im letzten Dreivierteljahr ist sie
fünfmal mit jemandem zusammengestoßen.«
»Fünfmal!« sagte Delia.
»Sie hatte aber nie Schuld.«
»Aha.«
»Sie hat einfach, also, Pech.
Das letzte Mal ist ihr ein Mann rückwärts reingefahren. Hier mußt du abbiegen.«
Delia blinkte und bog rechts ab
in eine Straße mit vielen Schlaglöchern, die durch gefrorene Stoppelfelder
führte. Die Landschaft war so flach, wenigstens brauchte sie nicht oft zu
schalten. Sie fuhren gen Osten, Richtung Strand. Mr. Miller hatte ihr gesagt,
die Fahrt dauere eine halbe Stunde.
»Du mußt heute abend um sechs
WKMD gucken«, sagte Noah. »Ich bin zwar nicht zu sehen, aber du weißt
wenigstens, daß ich da im Sender sitze.«
Es war sicher gespenstisch,
seine weggelaufene Mutter allabendlich den Wetterbericht präsentieren zu sehen.
Obwohl, soweit Delia wußte, Noah diesen Wetterbericht nie sah. Um sechs kamen
die MacNeill/Lehrer Nachrichten , die Mr. Miller statt dessen sah.
Die Felder wichen
Hamburger-Drive-Ins, Schrottplätzen und Spirituosenläden, die Stadt schien
nahe, bis Delia begriff, daß dies die Stadt war — diese dahingestreuten Gebäude
zwischen den Äckern und Weiden. Noah wies auf die Fernsehstation am Fuße des
Sendemastes. Er zeigte ihr, wo seine Mutter Lebensmittel einkaufte und wo sie
zum Friseur ging, dann dirigierte er sie zwei Straßen südlich zu einem
niedrigen Apartmenthaus aus hellen Klinkerziegeln. »Soll ich mit dir
reinkommen?« fragte Delia und parkte.
»Nö, ich habe einen Schlüssel,
wenn sie nicht da ist.«
Delia war enttäuscht, doch sie
widersprach ihm nicht.
»Wenn du morgen aufwachst«, hatte
Noah ihr erklärt, als sie den Kofferraum entriegelte, »sieh mal auf mein Regal
im Wandschrank, da liegt mein Geschenk.«
»Und wenn du aufwachst, sieh
mal in die Seitentasche deines Rucksacks.«
Er grinste und nahm ihr den
Rucksack aus der Hand. »Also«, sagte er. »Bis bald, nehme ich an.«
»Feier schön Weihnachten.«
Anstatt ihn in den Arm zu
nehmen, zerstrubbelte sie sein Haar. Das hatte sie schon immer gewollt.
Wieder zu Hause, stand Mr.
Miller vorn am Fenster und wartete. Ihre Wege kreuzten sich im Eingang — Mr.
Miller streckte die Hand nach den Autoschlüsseln aus, wünschte ihr
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