Kleine Einblicke
sieht zu Cameron, der bereits nach dem Handy sucht. „Ich gehe ihm nach.“
Weg ist er, während Cameron sich das Handy ans Ohr nimmt, sich vorstellt und dann erst mal zuhört. Er wird mit jeder Sekunde blasser und als er schließlich auflegt, ist er so weiß wie eine frisch gestrichene Wand.
„Was ist los?“, frage ich beunruhigt, als er mich ansieht und etwas sagen will, aber kein Wort herausbringt. „Cam, was ist los?“
„Das war die Polizei in Baltimore Es gab eine Schießerei im Gerichtssaal“, flüstert er so ungläubig, dass mir Angst und Bange wird. „Keiner weiß, wie der Kerl die Waffe ins Haus schmuggeln konnte. Er hat Adrian erschossen.“
Moment. Was hat er gesagt? Mir wird schlecht. „Was?“
Cameron starrt wie betäubt auf das Handy in seiner Hand. „Der Kerl, den Adrian heute verteidigen sollte... Er hat... Er... hat ihn eiskalt erschossen.“
- Wachtraum -
Ich fühle mich wie in einem Wachtraum. Mir ist nicht klar, wie wir von Kanada wieder zurück nach Baltimore gekommen sind. Irgendwie ist alles, was in den letzten fünf Stunden passierte, wie ein Film vor meinen Augen abgelaufen.
Ich komme erst wieder richtig zu mir, als die breite Schiebetür der Notaufnahme aufgeht und sofort unzählige Gerüche, Stimmen und Geräusche auf mich einstürmen, während wir geschlossen auf den Tresen zusteuern, um zu erfahren, wo Adrian ist und was wir jetzt tun müssen. Was David tun muss und wobei wir ihm helfen werden.
Oh Gott, das kann doch alles nur ein böser Traum sein.
Adrian ist tot. Erschossen von einem Mann, dem er helfen wollte. Eiskalt ermordet für nichts.
Ich will das nicht glauben. Ich will es nicht akzeptieren. Ich will nicht in ein paar Tagen auf dem Friedhof stehen und eine Rose auf seinen Sarg legen. Ich will das nicht. Ich will nur, dass alles wieder so ist, wie gestern Abend, wo wir uns am Telefon vor Lachen förmlich ausgeschüttet haben, weil David vergessen hatte, Unterwäsche in den Koffer zu packen.
David.
Er steht völlig unter Schock. Wie wir alle, schätze ich. Seit dem Anruf der Polizei hat er kaum ein Wort gesagt. Tut er auch jetzt nicht, als eine Schwester fragend zu uns aufsieht. Deswegen erzähle ich der jungen Frau, weshalb wir gekommen sind, worauf sie David mitfühlend ansieht und nickt, bevor sie zum Telefon greift, um die Polizisten aus der Leichenhalle zu rufen, die mit David reden wollen.
Das tun sie kurze Zeit später auch, was allerdings nicht viel bringt, denn David starrt blicklos vor sich hin. Er ist geistig im Moment überall, nur nicht hier, und ich kann ihn verstehen. Ich würde es ihm gerne nachmachen, aber das geht nicht. Ich muss die Nerven behalten, solange er es nicht kann.
Da die Polizisten schnell merken, dass mit David nichts anzufangen ist, halten sie sich an mich, nachdem Dominic und Cameron mit David an die frische Luft gegangen sind. Sie stellen Fragen zu dem Fall, machen sich Notizen und lassen uns, als David wieder da ist, mit einem zweifachen und ehrlichem, „Unser Beileid, Mister Quinlan“, allein.
Ich weiß zwar nicht, ob sie Adrian durch ihren Beruf kannten, aber für eine ehrliche Anteilnahme sind viele von ihnen nach einigen Jahren im Dienst zu abgebrüht, was in meinen Augen kein Wunder ist. Polizisten sehen ständig die schrecklichsten Dinge, irgendwann müssen sie lernen abzuschalten, weil sie sonst verrückt werden. Das geht uns Anwälten genauso, wenn wir Opfer oder Hinterbliebene verteidigen.
Ich hätte allerdings nie damit gerechnet, eines Tages selbst ein Hinterbliebener zu sein.
Nachdem die Polizisten gegangen sind, stehen wir im Gang herum, wie bestellt und nicht abgeholt. Was jetzt? Müssen wir Adrian identifizieren oder können wir seine Sachen holen? Können wir ihn ein letztes Mal sehen und Abschied nehmen? Mein Blick wandert zu David und ich bin nicht sicher, ob er es durchsteht, in die Leichenhalle zu gehen, um...
„Mister Kendall?“
Ich sehe zur Seite. Die Schwester von vorhin steht bei uns und sieht mich fragend an. „Ja?“
„Die Polizei hat Mister Quinlans Sachen bereits für die Familie freigegeben. Wollen Sie sie mitnehmen?“
Ich muss David an der Schulter berühren, denn auf meinen fragenden Blick reagiert er nicht. Er braucht einen Moment, um überhaupt zu begreifen, was die Schwester gerade zu uns gesagt hat, aber als David es versteht, wird er noch blasser, als er sowieso schon ist.
„Ich kann das nicht. Ich kann nicht...“, wehrt er panisch ab und weicht vor mir zurück, die
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