Kleine Einblicke
getroffen. Beim Einkaufen. Er kannte mich, ich ihn aber nicht. Sein Blick war so entsetzt...“ Ich muss den Kopf schütteln bei der Erinnerung daran. „Ich habe ihn angesprochen und gefragt, ob er mich kennt. Er sagte 'Ja', was mich neugierig gemacht hat. Er wollte mir erst nicht sagen, woher wir uns kennen, tat es dann aber doch.“
„Und?“, will Colin wissen, als ich kurz zögere weiterzusprechen, worauf ich entscheide, es ihnen einfach zu erzählen. Ungeschönt.
„Er hat mir erzählt, dass wir uns aus Baltimore kennen. Dass ich mich mit Anfang Zwanzig in einem Sex- und Spielclub von ihm habe ficken lassen. Von ihm und einer Menge anderer Männer.“
Mikael verschluckt sich an seinem eben erst getrunkenen Schluck Kaffee und fängt an zu husten, während Colin mich mit offenem Mund anstarrt. Sein Blick ist eindeutig und mir wird übel. Er hat keine Ahnung. Mein Gott. Was habe ich damals bloß getan, dass nicht mal meine Väter darüber Bescheid wissen?
„Ihr wisst nichts davon, oder?“
Colin schüttelt den Kopf. Er ist blass geworden. „Was hat dieser Mann dir noch erzählt?“
Diese Frage kann und werde ich Colin nicht beantworten. Niemals. Ich schäme mich ja jetzt schon in Grund und Boden dafür. Hätte ich bloß nichts gesagt. Wenn sogar meine Väter über diesen Teil meiner Vergangenheit nichts wissen, dann muss es übel sein. Sehr übel. Und es ist leider auch ein Zeichen dafür, dass der Mann vor dem Einkaufscenter nicht gelogen hat. Jetzt stellt sich allerdings die Frage, ob es damals in Baltimore neben den Ausflügen in Sexclubs noch mehr unschöne Dinge gab, von denen ich nichts mehr weiß.
„Adrian“, zischt Colin auf einmal wutentbrannt, springt auf und rennt ins Haus. Kurz darauf knallt die Haustür ins Schloss.
„Scheiße!“, flucht Mikael im selben Moment als mir klar wird, wo Colin hin will, doch da ist es schon zu spät. Als wir aus dem Haus stürmen, biegt mein Vater mit seinem rotem Mustang an der Kreuzung gerade rechts ab. „Oje“, murmelt Mikael, dann läuft er zurück ins Haus und greift sich das Telefon.
Ich folge ihm. „Dad? Was...?“
„Moment, Kilian“, würgt er mich ab und trommelt mit den Fingern nervös gegen die Wand. Mikael hat Angst, das ist mehr als deutlich zu sehen, und es fühlt sich an wie ein Schlag in meine Magengrube, denn ich kenne diesen Blick an ihm. Er weiß Bescheid. Keine Ahnung woher, aber Mikael weiß, was in Baltimore los war, dessen bin ich mir sicher.
„Du weißt, was damals war.“
Mikael sieht mich an und nickt. „Geh endlich ran, Adrian“, fleht er gleichzeitig und stöhnt im nächsten Moment erleichtert auf. „Wo ist Adrian? ...Sag' ihm, dass Colin Bescheid weiß wegen der Clubs, wo Kilian damals war, und auf dem Weg zu euch ist... Nein, Kilian kann sich nicht erinnern, aber er hat einen Mann getroffen, den er damals... Ja, genau... Ja, ich werde es ihm sagen, sobald wir im Auto sitzen... Weiß ich nicht, er war außer sich. Du weißt doch, wie empfindlich Colin bei dem Thema ist... Ja... Ja, wir kommen so schnell wir können.“ Mikael legt auf und sieht mich an. „Ruf' Dale an und sag' ihm, dass er sich für den Rest des Tages um die Kinder kümmern muss. Wir müssen nach Baltimore.“
Mikael schafft die hundert Meilen nach Baltimore in weniger als zwei Stunden und als wir in die Einfahrt zu Davids und Adrians Haus einbiegen, sitzen Adrian und Colin einträchtig nebeneinander auf der Treppe und winken. Ich weiß nicht, wer von uns verdutzter ist, Mikael oder ich, denn als ich aussteige, wedelt Colin mit einer halbleeren Whiskeyflasche, während Adrian an einer Zigarette zieht und danach zu husten anfängt. Kein Wunder, denn er raucht nicht.
Genauso wenig wie Colin hochprozentigen Alkohol aus der Flasche trinkt. Himmel noch mal, was ist hier eigentlich los? Und wie sie aussehen. Angetrunken, ihre Sachen an mehreren Stellen eingerissen und blutverschmiert, jeweils ein blaues Auge und Adrians Nase ist mit Taschentüchern verstopft, während mein Vater sich einen nassen Lappen gegen den Kiefer drückt.
„Ich fass' es nicht“, murmelt Mikael hinter mir und schließt den BMW ab, während ich langsam auf Colin und Adrian zugehe.
„Ihr trinkt und raucht? Aber...“
Mir fehlen die Worte. Dad und ich waren keine fünfzehn Minuten hinter Colin. Hat er einen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt, um herzukommen? Wie haben die beiden es in der kurzen Zeit geschafft, sich dermaßen zuzurichten und wieso, zum Kuckuck, sitzen sie hier
Weitere Kostenlose Bücher