Kleine Einblicke
ihn an. „Was dann?“
Colin und Mikael sind regelmäßig bei uns zu Hause, seit ich das Krankenhaus verlassen habe. Anfangs, um mir bei der Reha für mein Bein zu helfen und mich gleichzeitig wieder in Rios und Gabrieles Leben zu integrieren, weil Dale nicht alles allein machen kann, er hat schließlich einen Job zu erledigen, und später, um einfach nur da zu sein. So ist unsere Familie nun mal. Sie sind da, wenn sie gebraucht werden. Meine Väter genauso wie sämtliche Onkel, Tanten, Großeltern und wer da noch um drei Ecken dazugehört.
Colin stupst mir neckend gegen die Nase, um mich aufzumuntern. „Dann geht die Welt auch nicht unter. Hör' auf, dir ständig selbst Druck zu machen.“
Er hat Recht und vielleicht wäre es sogar besser, wenn nicht all meine Erinnerungen zurückkommen. Ich weiß nicht, ob ich mich daran erinnern will, was ich in Baltimore offenbar getan habe. Aber wenn diese Erinnerungen wegbleiben, dann kehren vielleicht auch die an Gabriele und Rio nie zurück. Das darf nicht sein. Ich habe Kinder, die mich täglich hoffnungsvoll ansehen und deren traurige Blicke, wenn ich sie mit meinem hilflosen Kopfschütteln erneut enttäuschen muss, jeden Tag mehr wehtun.
Doch das Schlimmste für mich ist, dass sie sich immer weiter auf Dale konzentrieren. Die ersten Wochen war ich sogar froh darüber, weil ich mir so in Ruhe ein Bild von unserem Familienleben machen konnte, aber jetzt? Ich weiß, wie schwer es für die beiden ist und sie sind nun mal Kinder. Natürlich wenden sie sich an die Person, die sie nicht ansieht wie Fremde. Ich bin ihnen nicht böse, wie könnte ich. Aber es tut dennoch weh. So sehr, dass ich es nicht in Worte fassen kann.
Ich bin todunglücklich deswegen. Dale weiß das und er tut alles, um zu helfen und aus uns wieder eine richtige Familie zu machen. Es funktioniert nur nicht. Meinetwegen. Weil ich nicht aus meiner Haut kann und tagein tagaus darüber nachdenke, was mir noch alles aus meinem Leben fehlt. Ich kann das nicht abstellen und es macht mich völlig fertig. Ich will mein Leben zurück. Mein ganzes Leben. Nicht diese entschärfte Version davon, oder wie immer man das, was jetzt mein Leben ist, nennen soll.
Ich lasse den Kopf hängen. „Weißt du, was das Schlimmste daran ist? Dass ich mittlerweile verstehe, warum Noah weggegangen ist.“
„Ach, Kilian.“ Colin zieht mich in eine liebevolle Umarmung, die dafür sorgt, dass ich endgültig die Beherrschung verliere. „Wein' ruhig“, murmelt mein Vater, als er bemerkt, was los ist. „Du hast jedes Recht dazu.“
Es dauert noch eine Woche, dann bin ich soweit, Nägel mit Köpfen zu machen. Ich habe mich nicht getraut, Dale zu fragen, ob er über Baltimore Bescheid weiß. Damals kannte ich ihn noch nicht und wenn er es nicht weiß, mache ich die Lage zwischen uns damit vielleicht noch schlimmer, als sie seit meinem Unfall ohnehin schon ist. Aber ich muss wissen, was ich damals getan habe. Ich muss mein Leben wieder zu einem Ganzen zusammenflicken und wenn meine Erinnerungen nicht freiwillig zu mir zurückkommen, muss ich sie mir anderweitig besorgen.
Deswegen habe ich beschlossen, mit Colin und Mikael darüber zu sprechen. Sie sind meine Väter und werden wissen, ob der Mann beim Einkaufscenter die Wahrheit gesagt hat. Auch auf die Gefahr hin, dass mir ihre Antwort nicht gefällt. Und sobald das erledigt ist, werde ich Dale bitten, mit mir, Gabby und Rio für ein paar Wochen wegzufahren. Raus aus unserer vertrauten Umgebung. Ich will nicht weggehen, wie Noah, aber ich brauche Abstand und ich möchte, dass meine Familie dabei an meiner Seite bleibt. Vielleicht finden wir ja so wieder zueinander.
Eine günstige Gelegenheit zu Colin und Mikael zu fahren, ergibt sich am Wochenende, als Dale die Kinder nach dem Frühstück mit zum Einkaufen nimmt. Sie sind noch keine fünf Minuten weg, da schnappe ich mir Cupcake und schreibe Dale eine Nachricht, falls er mit den Kids vor mir zurück ist. Er soll sich keine Sorgen machen. Nun ja, jedenfalls nicht mehr als ohnehin schon.
Colin und Mikael sind beide zu Hause. Sie sitzen beim Frühstück im Garten und freuen sich sichtlich, dass ich vorbeischaue. Da ich nicht gleich ins Haus fallen will, gönne ich mir erst mal einen der Pfannkuchen, die Mikael gemacht hat. Cupcake findet die auch toll, was für einiges Gelächter sorgt. Natürlich merken meine Väter sehr schnell, dass ich etwas auf dem Herzen habe, und haken nach.
„Ich habe vorletzte Woche einen Mann
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