Kleine Einblicke
Colin hatte Adrians Faust im Gesicht.“
„Adrian hat angefangen?“, frage ich ungläubig, weil ich es nicht glauben kann, aber Davids erneutes Nicken ist eindeutig. „Oh man.“
David deutet mit einem Pinsel auf mich. „Ganz meine Meinung, und deswegen habe ich sie angeschrien und vor die Tür gesetzt.“
„Inklusive Alkohol, Taschentüchern und feuchtem Lappen?“, hake ich nach, was David leise lachen lässt.
„Nein, sie sind ein paar Minuten später durch die Hintertür ins Haus geschlichen, haben das Zeug geholt und sich wieder verdrückt. Ich bin zwar nicht glücklich über den Alkohol, aber in diesem Fall war ich bereit, ein Auge zuzudrücken.“ David zuckt die Schultern. „Außerdem ist der Whiskey immer noch besser als Haschischkekse.“
Ich pruste los.
„Hat Mik es dir erzählt?“, fragt David, nachdem ich mich wieder beruhigt habe, und sieht mich forschend an.
Ich weiß, was er wissen will, deshalb nicke ich nur, denn Mikael hat auf der Herfahrt kein Blatt vor den Mund genommen, was meine Vergangenheit hier in Baltimore angeht. Ich hatte ja schon geahnt, dass es schlimm war, aber wie schlimm, damit habe ich, um ehrlich zu sein, nicht gerechnet. Einerseits wünscht sich ein Teil von mir immer noch, nie gefragt zu haben, andererseits bin ich auch wieder erleichtert, dass ich es jetzt weiß. Ich habe mich damals nicht gerade mit Ruhm bekleckert, aber ich werde damit leben.
„Du wirkst gefasst.“
Ich grinse schief. „Ich glaube, ich stehe noch unter Schock.“
David schmunzelt und wird dann ernst. „Wer will es dir verübeln? Aber du wirst damit klarkommen, das bist du damals schon und wirst es auch heute.“ Er legt den Kopf schief. „Sag' mir die Wahrheit.“
„Welche Wahrheit?“, frage ich verdutzt, weil ich nicht weiß, was er meint.
„Die Wahrheit darüber, wie es dir geht, wie du dich fühlst, wie du damit klarkommst, dass dir Teile deines Lebens fehlen.“
Mist. David wird sich nie ändern. Selbst mit hundert Jahren wird er wissen, was in meinem Kopf vor sich geht und es mir vorhalten, sobald er es für richtig hält. Ich bin fast Vierzig, verheiratet, habe ein Haus, Kinder und einen verrückten Hund, trotzdem komme ich mir im Moment vor wie fünfzehn, als wir zum ersten Mal ein Gespräch dieser Art führten. Und genauso wie damals, werde ich auch heute die Wahrheit sagen, weil eine Lüge Zeitverschwendung wäre und David es außerdem nicht verdient, dass ich ihn anlüge.
„Ich komme damit nicht zurecht. Gabby und Rio wissen nicht, wie sie mit mir umgehen sollen und ich weiß es auch nicht. Jeder sagt, ich muss Geduld haben. Aber wie ich das machen soll, weiß keiner.“ Ich fahre mir durch die Haare. „Ich erkenne Teile meiner Familie nicht, habe verschiedene Dinge von früher einfach so vergessen und der Gipfel war bisher dieser Mann vor dem Einkaufscenter, der mir gesagt hat, dass ich früher...“ Ich verziehe das Gesicht, weil ich es nicht aussprechen will. „Du weißt, was ich meine.“
David nickt, sieht mich mitfühlend an. „Hast du mit Dale darüber gesprochen?“
„Nicht wirklich“, gebe ich zu.
„Ja oder Nein, Kilian?“, hakt David nach.
„Nein.“
„Kilian!“
„Ja, ich weiß“, murmle ich verlegen und sehe zu Boden. Ich weiß, warum David jetzt sauer auf mich ist, und ich weiß auch, dass Dale zu mir gehört und ich ihn nicht länger ausschließen darf. Aber er hat soviel zu tun mit den Kindern, dem Job und überhaupt, ich habe einfach gehofft, dass ich ihn damit nicht auch noch belasten muss. Ein feige und falsche Entscheidung, das ist mir längst bewusst.
„Dann ändere es gefälligst!“
„Was?“ Ich sehe David fragend an, dann wird mir klar, dass ich laut gedacht habe. „Tut mir leid.“
David schüttelt den Kopf. „Entschuldige dich nicht, sondern rede mit Dale. Er ist dein Mann. Du darfst ihn nicht ausschließen. Hast du vergessen, wie sehr Colin und Mikael damals gelitten haben, bis Colin endlich über seinen Schatten gesprungen ist?“
„Nein“, antworte ich beschämt.
David legt den Pinsel und die Farben weg und tritt vor mich, um mir eine Hand auf die Wange zu legen. „Dale liebt dich, also rede mit ihm. Ob deine Erinnerungen zurückkommen oder nicht, du kannst nicht jeden Tag in den Spiegel sehen und darauf warten. Das dürfen Gabby und Rio auch nicht länger machen, das setzt dich nur weiter unter Druck. Fangt neu an. Als Familie.“
„So was Ähnliches hat Colin auch schon gesagt“, gebe ich zu, was David nicken
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