Kleine Einblicke
nicht. Ich müsste mehr essen, aber ich schiebe es andauernd nur auf dem Teller herum. Ich müsste schlafen, stattdessen liege ich wach oder schrecke schreiend aus Alpträumen hoch, in denen ich eine rote Rose auf Connors Sarg lege. Ich bin wie eine Maschine im Automatikmodus. Ich tue, was ich tun muss, aber mehr auch nicht. Genau wie Connor, der dort in diesem weißen Bett liegt und stirbt.
„Welcher Tag ist heute?“
Welcher Tag? Wen interessiert das? Montag, glaube ich. Oder doch schon Dienstag? Wieso will Nick das wissen? Wie kommt er überhaupt in mein Zimmer? Moment, es ist Connors Zimmer. Ich bin nur Gast hier. Ob ich ihn wohl loswerde, wenn ich es ihm sage? „Dienstag“, rate ich ins Blaue hinein und wundere mich, als er mir dafür einen Schlag gegen die Schulter verpasst, der mich fast vom Bett fegt. Ich weiß nicht mal, seit wann ich hier sitze.
„Rate noch mal“, fordert Nick sehr ernst und hockt sich vor mich, um mich anzusehen. Sein Blick ist irgendwie seltsam und er macht mir Angst. Irgendetwas stimmt nicht. „Du könntest allerdings auch gleich zugeben, dass du es nicht weißt.“
Ich weiß es wirklich nicht, aber das zugeben? Kommt nicht in die Tüte. Auch wenn ich wohl nur noch ein Schatten meiner selbst bin, Stolz ist noch da. Nicht viel, aber ich habe ihn noch. Irgendwo in mir drin, in dieser Ruine, die mal mein Körper gewesen ist. Connor würde mir was erzählen, wenn er meine Gedanken hören könnte. Aber das kann er nicht. Er kann nichts mehr. Connor schläft und wird es auch für immer tun. Wenn nicht freiwillig, werden die Ärzte schon dafür sorgen und ihn mir wegnehmen. Und dann muss ich wirklich mit einer roten Rose in meiner Hand an seinem Grab stehen, um mich von ihm zu verabschieden.
Aber keine Sorge, Connor, ich lasse dich nicht lange allein. Wir sehen uns wieder, das verspreche ich dir.
„Oh nein, das wirst du nicht“, zischt Nick auf einmal und zerrt mich vom Bett. „Nur weil du in deinem Wahn aus totaler Übermüdung und Erschöpfung weiß der Kuckuck was verstanden hast, wirst du dich nicht hinstellen und einen Kopfsprung ohne Sicherungsseil von der nächsten Brücke machen. Connor würde dich dafür umbringen.“
„Klar. Und dafür hopst mein fast toter Freund mal eben schnell aus seinem Bett. Oh, pardon, aus seinem Grab.“
Die Worte sind schneller ausgesprochen, als ich nachdenken kann und sie sind weit unterhalb jeder Gürtellinie. Daher ist es für mich auch kein Wunder, dass Nick abrupt darin innehält, mich durch den Flur zu zerren und mich gegen eine Wand drängt, um mich dann sehr eindringlich anzusehen. Erstaunlich, er sieht nicht wütend aus. Es ist eher wie Resignation. Seltsam. Müsste er nicht sauer sein? Ich verstehe das alles nicht. Was hat er bloß?
„Dan, ich frage dich noch mal, welcher Tag ist heute?“
Nicht das schon wieder. Aber bitte, wenn es ihn glücklich macht. „Donnerstag?“, biete ich an und bekomme dafür erst ein ungläubiges Lachen und dann einen fassungslosen Blick geschenkt, bevor er eine Tür aufschiebt und mich weiterzieht. Ins Badezimmer. Ich frage gar nicht erst nach, was er hier will. „Na schön, dann Mittwoch.“
„Freitag, du Idiot“, korrigiert er mich und murmelt einen Fluch, den ich nicht verstehe und der mich auch nicht interessiert.
Im Endeffekt ist es doch egal, ob nun Mittwoch oder Freitag ist, oder? Na ja, sieht man mal von der Tatsache ab, dass mir irgendwie ein paar Tage abhanden gekommen sind. Ich muss wirklich reichlich neben der Spur sein und ich denke, ich sollte mal wieder schlafen. So richtig schlafen. Wenigstens zwölf Stunden oder so. Ob Will mir wohl eine Schlaftablette geben würde? Vermutlich. Immerhin ist er es, der dauernd meckert, dass ich schon mehr Ähnlichkeit mit einem Zombie habe als mit einem normalen Menschen. Aber dafür hätte er nicht Nick herholen müssen, damit der mich erst durch die Gegend ziehen und mir später einen Vortrag darüber halten kann, dass ich an Connors Unfall keine Schuld trage. Ein paar hübsche Pillen könnte Will mir auch allein geben und...
Augenblick mal. Wenn heute Freitag ist, war ich fast eine Woche nicht mehr bei Connor. „Ich muss ins Krankenhaus.“
„Später“, murrt Nick und hält mich fest.
„Aber...“
Weiter komme ich nicht, denn er funkelt mich sauer an und deutet dabei auf die Wanne. „Du gehst jetzt plantschen, weil du stinkst. Dabei wirst du die Sandwichs essen, die Rachel dir gerade macht, danach wirst du die Tabletten nehmen, die
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