Kleine Einblicke
ihm mit seiner Offenheit nicht nehmen können. Das hat nicht einmal Adrian geschafft, obwohl es ihm nach seinem Treffen mit Daniel und der Nacht, die er mit dem Anwalt in Baltimore verbrachte, wirklich gutging. Vielleicht hat die Therapie den Ausschlag gegeben, die er begonnen hat. Er fühlt sich dort wohl, sonst würde er nicht zu der Psychologin gehen, aber ob sie es nun war oder seine Gespräche mit Samuel und Daniel, ich bin einfach froh, dass er darüber nachdenkt, mit mir zu reden.
Ich habe mir natürlich längst meine Gedanken gemacht und in der letzten Zeit mehrere Telefonate mit dem sturköpfigen Anwalt geführt, weil er und David die einzigen Spieler sind, die ich kenne, und weil ich mehr darüber wissen wollte. Colin weiß nichts davon und solange er nicht von sich aus das Gespräch sucht, wird das so bleiben. Darin stimmt Adrian mit mir überein. Genauso wie ich mit dem Anwalt darin übereinstimme, die Aufklärung von Kilian ihm und David zu überlassen, wenn es soweit ist. Denn dass unser Sohn neugierig ist, daran wird sich nichts ändern, schätze ich, und das ist etwas, was mir doch ein klein wenig Sorge bereit, auch wenn es das nicht müsste. Aber ich sehe, was ein schlechtes Erlebnis Colin angetan hat und Kilian ist nun mal mein Sohn. Vielleicht nicht von Geburt an, aber in meinem Herzen ist er es. Deshalb mache ich mir Gedanken. Nicht nur wegen Kilians Neugierde in puncto Spiele, sondern vor allem darüber, was Colin genau erlebt hat.
Er wurde nicht vergewaltigt und darüber bin ich froh, doch diese Männer haben ihm etwas Schlimmeres angetan. In meinen Augen jedenfalls. Sie haben versucht, ihn zu zwingen. Ihn zu brechen und ihm ihren Willen aufzudrängen. Colin hat dagegengehalten und körperlich ist ihm nichts passiert. Nur sieht es seelisch anders aus. Ich weiß, dass die Polizei ihm nicht glaubte und das hat sein Vertrauen in Menschen ziemlich schwer erschüttert. Manchmal frage ich mich, wie es mir gelungen ist, sein Vertrauen und seine Liebe zu gewinnen. Adrian meinte, dass es für jeden Menschen das passende Gegenstück gibt und für Colin wäre ich das.
Das ist zwar keine befriedigende Erklärung, aber sie ist besser als nichts, denn das Colin mich liebt, das weiß und sehe ich tagtäglich. Ich erwidere diese Liebe. Um ehrlich zu sein, bin ich völlig verrückt nach ihm. Das war ich schon immer und deshalb möchte ich helfen. Aber ich werde nie das tun, was diese Mistkerle damals versuchten. Ich werde ihn nicht zwingen. Wenn er soweit ist, wird er mit mir reden und darauf warte ich.
Natürlich wäre es eine glatte Lüge, wenn ich behaupten würde, dass mir das Warten leichtfällt und dass es nicht wehtut, dass er mir im Moment noch nicht komplett vertraut. Aber damit will und werde ich leben, denn ich weiß, dass er nicht anders kann. Die Männer haben zuviel zerstört und es wird Zeit brauchen, bis Colin versteht und vor allem akzeptiert, dass er an dem, was damals passiert ist, keinerlei Schuld trägt.
Ich weiß, dass Colin manchmal grübelt. Dass er sich fragt, warum er so naiv war. Ob er einfach dumm war und es nicht besser verdient hat. Völliger Blödsinn und im Grunde weiß er das. Es ist allerdings ein Unterschied, etwas zu wissen und es zu glauben. Aber wenn Colin eines ist, dann ein verfluchter irischer Dickschädel. Solange er nicht bereit ist, könnte ich reden und bitten und hoffen, wie ich will, es wäre sinnlos. Deshalb bin ich geduldig und warte darauf, dass sein Zeitplan ihm sagt, es ist perfekt. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich nicht mehr lange auf diesen Moment warten muss.
„Folterkammer“, sagt Colin zwei Tage später, als wir abends nach einem Bad im Bett liegen. Kilian übernachtet mit Whiskey bei seinem Freund Steven und wir haben die sturmfreie Bude genutzt, um wilden, hemmungslosen Sex zu haben, wie unser frecher Sohn vorhin sagte, bevor er lachend durch die Haustür flüchtete, Colin und seinen verrückten Hund dicht auf den Fersen.
Ich sehe von meinem Buch auf und Colin an, dessen Augen zur Decke des Schlafzimmers gerichtet sind. „Was?“
„Das war meine erste Assoziation damals.“
Es dauert einen Moment, bis mir dämmert, wovon er spricht. Das Spielzimmer. Ich klappe das Buch zu und lege es auf den Nachttisch. Ich werde ihm zuhören, wenn er weiterspricht, aber je länger die Stille zwischen uns anhält, desto offensichtlicher wird, dass Colin ganz kurz davor ist, wieder dichtzumachen. Seinem Blick nach zu urteilen, weiß er selbst
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