Kleine Freie Männer
haben«, sagte sie. »Ich möchte
einen großen kleinen Tropfen, Fion.«
»Davon bekommt man Haare auf der Brust«, warnte
Tiffany.
»Ach, für einen Tropfen von Sarah Wehs speziellem
Schaf-Einreibemittel riskiere ich die eine oder andere Locke«, erwiderte die alte Kelda. Sie nahm von Fion einen ledernen Becher entgegen, so groß wie ein Fingerhut, und hob ihn an.
»Ich glaube, das ist nicht gut für dich, Mutter«, sagte Fion.
»Lass das jetzt meine Sorge sein«, sagte die Kelda.
»Bitte einen Tropfen, bevor es zu Ende geht, Kelda
Tiffan.«
Tiffany kippte die Flasche vorsichtig. Die Kelda
schüttelte verärgert den Becher.
»Ich habe an einen größeren Tropfen gedacht, Kelda«,
sagte sie. »Eine Kelda ist großzügig.«
Sie nahm einen ziemlich großen Schluck.
»Oh, es ist lange her, seit ich dieses Gebräu zum letzten Mal getrunken habe«, sagte sie. »Deine Oma und ich haben uns gelegentlich den einen oder anderen Schluck gegönnt, an kalten Abenden vor dem Feuer …«
Tiffany sah es ganz deutlich: Oma Weh und diese
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kleine, dicke Frau saßen vor dem Kanonenofen in der
Hütte auf Rädern, während die Schafe unter den Sternen grasten …
»Ja, du siehst es«, sagte die Kelda. »Ich fühle es. Das ist der Erste Blick.« Sie ließ den Becher sinken. »Fion, geh und hol Rob Irgendwer und William den Dudler.«
»Die Große füllt das ganze Loch«, erwiderte Fion
mürrisch.
»Ich wage zu behaupten, dass du genug Platz findest, um dich an ihr vorbeizuwinden«, sagte die alte Kelda mit jener ruhigen Stimme, die darauf hinwies, dass eine stürmische Stimme folgen würde, wenn man ihr nicht gehorchte.
Mit einem finsteren Blick auf Tiffany quetschte sich
Fion an ihr vorbei.
»Kennst du dich mit Bienen aus?«, fragte die Kelda. Als Tiffany nickte, fuhr sie fort: »Dann weißt du, warum wir nicht viele Töchter haben. Wenn es zwei Königinnen im
Bienenstock gibt, kommt es früher oder später zum Kampf.
Fion muss mit denen aufbrechen, die ihr folgen wollen, und einen Clan suchen, der eine Kelda braucht. So ist es bei uns üblich. Sie glaubt, dass es noch andere
Möglichkeiten gibt; manchmal denken junge Leute auf
diese Weise. Gib auf sie Acht.«
Tiffany spürte, wie sich etwas an ihr vorbeischob, und Rob Irgendwer und der Barde betraten den Raum. Sie hörte ein Rascheln und Flüstern, als sich hinter ihr ein
inoffizielles Publikum versammelte.
Als sich die Dinge ein wenig beruhigt hatten, sagte die alte Kelda: »Es ist schlecht für einen Clan, auch nur eine 160
Stunde lang ohne eine Kelda zu sein, die auf alles aufpasst.
Deshalb wird Tiffany eure Kelda sein, bis eine neue
eintrifft…«
Tiffany vernahm ein Murmeln neben und hinter sich.
Die alte Kelda sah William den Dudler an.
»So etwas ist schon einmal geschehen, nicht wahr?«,
fragte sie.
»Ja«, antwortete William. »Zweimal, berichten die
Lieder.« Er runzelte die Stirn und fügte hinzu: »Man
könnte sogar von dreimal sprechen, wenn man
berücksichtigt, dass die Königin …«
Seine Stimme verlor sich in dem Aufschrei, der sich
hinter Tiffany erhob.
»Weder König noch Königin! Kein Herr und Gebieter!
Wir lassen uns nicht noch einmal täuschen!«
Die alte Kelda hob die Hand. »Tiffan ist die Enkelin von Oma Weh«, sagte sie. »Ihr alle kennt sie.«
»Ja, und wir ham gesehen, wie die kleine Hexe dem
kopflosen Reiter in die Augen starrte, die er gar nicht hat«, warf Rob Irgendwer ein. »Das können nicht viele.«
»Und ich bin seit siebzig Jahren eure Kelda, und ihr
dürft mir nicht widersprechen «, sagte die alte Kelda. »Die Wahl ist getroffen. Helft ihr dabei, ihren kleinen Bruder zurückzustehlen. Das ist das Los, das ich euch auferlege, im Gedenken an mich und Oma Weh.«
Sie sank aufs Bett zurück und fügte leiser hinzu: »Und jetzt möchte ich hören, wie der Dudler Die hübschen Blumen spielt, und ich hoffe, wir sehen uns alle in der Letzten Welt wieder. Zu Tiffan sage ich: Sei wachsam.«
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Die Kelda atmete tief durch. »Irgendwo sind alle
Geschichten und Lieder wahr …«
Die alte Kelda schwieg. William der Dudler blähte den
Mäusebeutel auf und blies in eine der Pfeifen. Tiffany fühlte in den Ohren das Blubbern von Musik, deren Töne so hoch waren, dass sie sie nicht hörte.
Nach einigen Momenten beugte sich Fion übers Bett,
sah nach ihrer Mutter und begann zu weinen.
Rob Irgendwer drehte sich um und sah zu Tiffany auf.
Tränen rannen ihm über die Wangen. »Darf ich dich darum bitten,
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