Kleine freie Männer
Schäferin, geschaffen von jemandem, der vermutlich nie ein Schaf aus der Nähe gesehen hatte.
Welche Gedanken waren Oma Weh beim Betrachten der Porzellanschäferin durch den Kopf gegangen? Tiffany konnte es nicht einmal erraten. Sie schien sich gefreut zu haben, denn es ist die Aufgabe von Großmüttern, Freude zu zeigen, wenn Enkelkinder ihnen etwas geben. Sie hatte die Figur ins Regal gestellt, Tiffany dann auf ihr Knie gehoben und sie »meine kleine Jiggit« genannt, auf eine nervöse Art, wie immer, wenn sie versuchte, großmütterlich zu wirken.
Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn Oma Weh unten auf der Farm war, beobachtete Tiffany manchmal, wie sie die Figur nahm und sie betrachtete. Wenn sie Tiffanys Blick spürte, stellte sie die Porzellanschäferin schnell zurück und gab vor, dass ihr Interesse eigentlich dem Schafbuch galt.
Vielleicht, dachte Tiffany kummervoll, hatte die alte Frau eine Art Beleidigung in der Statue gesehen. Vielleicht glaubte sie, dass man ihr damit sagte, wie eine Schäferin aussehen sollte. Sie sollte keine Alte in einem schmutzigen Kleid und mit großen Stiefeln sein, mit einem Sack über den Schultern, um den Regen fern zu halten. Eine Schäferin sollte funkeln wie die Sterne in einer klaren Nacht. Es war natürlich nie Tiffanys Absicht gewesen, aber vielleicht hatte sie Oma Weh mit der Figur zu verstehen gegeben, dass sie nicht... richtig war.
Und dann, einige Monate später, starb Oma Weh, und in den folgenden Jahren ging alles schief. Willwoll wurde geboren, und dann verschwand der Sohn des Barons, und dann kam der schlimme Winter, in dem Frau Schnappich im Schnee starb.
Tiffany dachte immer wieder kummervoll an die Figur. Sie konnte nicht darüber reden. Alle anderen waren beschäftigt oder nicht interessiert. Alle waren gereizt. Sie hätten gesagt, dass es dumm war, sich wegen einer Figur Sorgen zu machen.
Mehrmals hätte sie die Porzellanschäferin fast zerbrochen, aber die Abwesenheit der Figur wäre den anderen sicher aufgefallen.
Heute hätte sie Oma Weh natürlich nichts so Falsches gegeben. Inzwischen war sie groß.
Sie erinnerte sich daran, dass die Alte manchmal seltsam gelächelt hatte, wenn ihr Blick auf der Figur verweilte.
Wenn sie doch nur etwas gesagt hätte. Aber Oma Weh mochte es zu schweigen.
Und jetzt stellte sich heraus, dass Oma Weh Freundschaft mit kleinen blauen Männern geschlossen hatte, die im Hügelland unterwegs waren und sich um die Schafe kümmerten, weil sie sie ebenfalls mochten. Tiffany blinzelte.
In gewisser Weise ergab das einen Sinn. Im Gedenken an Oma Weh ließen die Menschen Tabak zurück. Und im Gedenken an Oma Weh kümmerten sich die Wir-sind-die-Größten um die Schafe. Es funktionierte alles, obwohl es keine Magie war. Aber es brachte Oma endgültig fort.
»Doofer Wullie?«, fragte Tiffany, richtete einen strengen Blick auf den zappelnden Kobold und versuchte, nicht zu weinen.
»Mmpf?«
»Stimmt das, was Rob Irgendwer gesagt hat?«
»Mmpf!« Die Augenbrauen des Doofen Wullie wander-ten mehrmals auf und ab.
»Herr Größter, bitte nimm die Hand von seinem Mund«, sagte Tiffany, und der Doofe Wullie wurde freigegeben. Rob Irgendwer hatte besorgt gewirkt, aber der Doofe Wullie war entsetzt. Er riss sich die Mütze vom Kopf und hielt sie in beiden Händen wie einen Schild.
»Stimmt das alles, Doofer Wullie?«, fragte Tiffany.
»Oh, schlimm, schlimm... «
»Ja oder nein.«
»Ja, es stimmt!«, entfuhr es dem Doofen Wullie. »Oh, schlimm, schlimm... «
»Herzlichen Dank«, sagte Tiffany, schniefte und versuchte, die Tränen wegzublinzeln. »Na schön. Ich verstehe.«
Die Größten sahen unsicher zu ihr auf.
»Du wirst deshalb nich' böse?«, fragte Rob Irgendwer.
»Nein. Es... funktioniert alles.«
Sie hörte den Widerhall überall in der Höhle: das Geräusch von hunderten kleiner Männer, die erleichtert seufzten.
»Sie hat mich nicht in eine Ameise verwandelt!«, sagte der Doofe Wullie und wandte sich mit einem freudigen Grinsen an die anderen Kobolde. »He, Jungs, ich hab' mit der Hexe geredet, un' sie hat mich nicht mal schief angesehen! Sie hat geläcbeltl« Er sah Tiffany an, strahlte und fuhr fort: »Und weißt du was, Meisterin, wenn man das Tabaketikett verkehrt herum hält, formen ein Teil der Kappe und sein Ohr eine Frau ohne mmpf mmpf...«
»Ach, es geht schon wieder los, zufällig erwürge ich dich fast«, sagte Rob Irgendwer mit der Hand auf Wullies Mund.
Tiffany öffnete den Mund - und schloss ihn
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