Kleine freie Männer
Tiffany verblüfft.
»O ja«, bestätigte die Kelda und lächelte. »Abgesehen von einigen Brüdern, die mich hierher begleitet haben, als ich zur Kelda wurde. Du brauchst gar nicht so zu staunen. Die Kinder sind sehr klein, wenn sie geboren werden, wie Erbsen in einer Schote. Und sie wachsen schnell.« Sie seufzte. »Doch manchmal glaube ich, dass all der Verstand den Mädchen vorbehalten bleibt. Es sind gute Jungs, aber keine großen Denker. Beim Denken musst du ihnen helfen.«
»Mutter, sie kann nicht die Pflichten einer Kelda erfüllen!«, wandte Fion ein.
»Vielleicht doch, wenn man sie mir erklärt«, sagte Tif-fany.
»Ach, glaubst du?«, entgegnete Fion scharf. »Na, das wird sehr interessant!«
»Ich erinnere mich, dass Sarah Weh über dich gesprochen hat«, sagte die Kelda. »Sie nannte dich eine seltsame Kleine, die immer beobachtet und zuhört. Sie meinte, du hättest den Kopf voller Worte, die du nicht laut aussprichst. Sie fragte sich, was einmal aus dir werden würde. Zeit für dich, es herauszufinden?«
Tiffany spürte Fions zornigen Blick, und vielleicht war er der Grund, warum sie ihren Daumen leckte und ihn behutsam gegen den winzigen Daumen der Kelda drückte.
»Es ist also abgemacht«, sagte die Kelda. Sie sank zurück und schien plötzlich zu schrumpfen. Noch mehr Falten entstanden auf ihrem Gesicht. »Niemand soll sagen, dass ich meine Söhne ohne eine Kelda zurücklasse, die sich um sie kümmert«, murmelte sie. »Jetzt kann ich zur Letzten Welt zurückkehren. Tiffan ist vorerst die Kelda, Fion. In ihrem Haus wirst du tun, was sie sagt.«
Fion sah zu Boden. Tiffany konnte ihren Ärger deutlich erkennen.
Die Kelda sackte in sich zusammen. Sie winkte Tiffany näher und sagte mit leiserer, schwächerer Stimme: »Na bitte, es ist vollbracht. Nun zu meinem Teil der Vereinbarung. Hör gut zu. Finde... den Ort, wo die Zeit nicht stimmt. Da ist der Eingang. Er wird hervorleuchten. Bring
den kleinen Jungen zurück, um den Gram aus dem Herzen deiner Mutter zu entfernen und vielleicht selbst Ruhe zu finden... «
Ihre Stimme verklang, und Fion beugte sich schnell zum Bett.
Die Kelda schniefte.
Sie öffnete ein Auge.
»Es noch nicht ganz so weit«, murmelte sie Fion zu. »Rieche ich bei dir einen kleinen Tropfen des speziellen Schaf-Einreibemittels, Kelda?«
Für ein oder zwei Sekunden wirkte Tiffany verwirrt. »Oh«, sagte sie dann. »Du meinst mich. Ja. Äh... hier...«
Die Kelda setzte sich mühsam auf. »Das Beste, was Menschen je produziert haben«, sagte sie. »Ich möchte einen großen kleinen Tropfen, Fion.«
»Davon bekommt man Haare auf der Brust«, warnte Tiffany.
»Ach, für einen Tropfen von Sarah Wehs speziellem Schaf-Einreibemittel riskiere ich die eine oder andere Locke«, erwiderte die alte Kelda. Sie nahm von Fion einen ledernen Becher entgegen, so groß wie ein Fingerhut, und hob ihn an.
»Ich glaube, das ist nicht gut für dich, Mutter«, sagte Fion.
»Lass das jetzt meine Sorge sein«, sagte die Kelda. »Bitte einen Tropfen, bevor es zu Ende geht, Kelda Tiffan.«
Tiffany kippte die Flasche vorsichtig. Die Kelda schüttelte verärgert den Becher.
»Ich habe an einen größeren Tropfen gedacht, Kelda«, sagte sie. »Eine Kelda ist großzügig.«
Sie nahm einen ziemlich großen Schluck.
»Oh, es ist lange her, seit ich dieses Gebräu zum letzten
Mal getrunken habe«, sagte sie. »Deine Oma und ich haben uns gelegentlich den einen oder anderen Schluck gegönnt, an kalten Abenden vor dem Feuer...«
Tiffany sah es ganz deutlich: Oma Weh und diese kleine, dicke Frau saßen vor dem Kanonenofen in der Hütte auf Rädern, während die Schafe unter den Sternen grasten...
»Ja, du siehst es«, sagte die Kelda. »Ich fühle es. Das ist der Erste Blick.« Sie ließ den Becher sinken. »Fion, geh und hol Rob Irgendwer und William den Dudler.«
»Die Große füllt das ganze Loch«, erwiderte Fion mürrisch.
»Ich wage zu behaupten, dass du genug Platz findest, um dich an ihr vorbeizuwinden«, sagte die alte Kelda mit jener ruhigen Stimme, die darauf hinwies, dass eine stürmische Stimme folgen würde, wenn man ihr nicht gehorchte.
Mit einem finsteren Blick auf Tiffany quetschte sich Fion an ihr vorbei.
»Kennst du dich mit Bienen aus?«, fragte die Kelda. Als Tiffany nickte, fuhr sie fort: »Dann weißt du, warum wir nicht viele Töchter haben. Wenn es zwei Königinnen im Bienenstock gibt, kommt es früher oder später zum Kampf. Fion muss mit denen aufbrechen, die ihr
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