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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Brunner
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Helden seien im Kreis gesessen, ohne dass rangmäßigeAbstufungen erkennbar gewesen wären. Das ist höfische Utopie. In der Realität verhielt es sich wohl anders. Der Platz am Tisch des Fürsten oder Königs hob zwar alle, die dort saßen, gleichermaßen aus dem übrigen Adel heraus, aber selbst dort sah jeder, wer dem Herrscher am nächsten war. Der Tisch war wohl zudem, wie ein Abschnitt aus der nach 1066 entstandenen Tapisserie von Bayeux zeigt, zumeist nicht kreisrund, sondern nur halbrund gebogen, damit die Diener die Speisen von vorne servieren konnten.
    Abb. 9: «Table ronde» aus der Tapisserie von Bayeux; Aufschrift: Und hier segnet der Bischof (der Auftraggeber der Tapisserie) Speis und Trank.
    Die Verbindung der Abenteuer um König Artus mit dem Gralsmotiv stellte, soweit uns bekannt ist, als Erster einer der größten Dichter des französischen Mittelalters her, Chréstien de Troyes († um 1190), und zwar in seinem «Roman de Perceval ou Le Conte du Graal», Roman von Perceval oder die Erzählung vom Gral. In einer anderen Artus-Geschichte, dem «Lancelot oder der Karrenritter», betont Chréstien, er habe «Stoff und Sinn» von der Gräfin Marie de Champagne, der Tochter Eleonores von Aquitanien (S. 48). Der Stoff heißt seit dem 12. Jahrhundert «Matière deBretagne», wobei Bretagne die Britische Insel und die französische Halbinsel bezeichnet. Daneben gab es die «Matière de France», beginnend mit Geschichten um Karl den Großen (wie dem Rolandslied, S. 83), und die «Matière de Rome», beginnend mit dem Trojanischen Krieg, da ja der aus Troja geflüchtete Aeneas als Gründer Roms galt.
    Den Perceval schrieb Chréstien de Troyes für «den trefflichsten Mann im Römischen Reich», den Grafen Philipp von Flandern, der übrigens von einer Pilgerreise eine Phiole mit dem Blut Christi nach Brügge mitbrachte. Das könnte ein Motiv gewesen sein, sich für den Gralsstoff zu interessieren. Der Gral gilt ja zumeist als ein Kelch oder eine Schale, in der Joseph von Arimatäa der Legende nach das Blut Christi aufgefangen habe. In einer anderen Version ist er die Abendmahlschüssel (zu Reliquien vgl. auch S. 184).
    Den Stoff vom Gralssucher hat am Beginn des 13. Jahrhunderts Wolfram von Eschenbach († um 1220) übernommen und daraus eine der größten Dichtungen des deutschen Mittelalters gemacht. Parzival wächst abgeschieden von der Welt auf und tritt als «tumber Tor» in das ritterliche Milieu ein, das er erst langsam verstehen lernt. Bei seiner ersten Begegnung mit den Gralsrittern versäumt er, sich mitleidsvoll nach dem Befinden des Gralskönigs zu erkundigen. Daher muss er noch viele weitere Abenteuer bestehen, bis er reif ist, diesen zu erlösen und selbst König zu werden. Es ist eine Art mittelalterlicher Entwicklungsroman und noch heute lesenswert.
    In einer Episode aus dieser Dichtung trifft Parzival Sigune, die ihren toten Geliebten im Schoß hat. Die Geschichte der Sigune wollte Wolfram noch ausbauen. Die davon erhaltenen Fragmente sind gerade wegen des Entwurfscharakters hochinteressant. In einem ersten Teil wird die Vorgeschichte zu Parzival erzählt. Dabei ist wichtig, zu sehen, dass die Tradition nicht nur über die Männer, sondern sehr deutlich auch über die Frauen weitervererbt wird. Sigune wächst bei ihrer Tante Herzeloyde, der Mutter Parzivals,auf und trifft dort den jungen Schionatulander. Die beiden empfinden noch halb kindliche Minne zueinander.
    Im zweiten Teil befinden sich die beiden an einem Waldrand. Dort fängt der junge Mann seiner Freundin einen entlaufenen Hund mit einem wundersamen Halsband, auf dem eine Geschichte eingestickt ist. Während er in einem Bach fischt, beginnt sie diese Geschichte zu lesen, aber plötzlich entläuft ihr der Hund. Sie schickt ihren Freund auf die Aventüre, das Abenteuer, den Hund wieder zu fangen, damit sie weiterlesen könne. Im Verlauf dieser Aventüre aber findet Schionatulander den Tod.
    Diese nach dem Vorfahren der Gralskönige benannten «Titurel-Fragmente» hat dann in den 60er Jahren des 13. Jahrhunderts ein Albrecht – wohl nicht, wie man früher meinte, der von Scharfenberg – zu einem umfassenden Gralswerk ausgebaut, das man den «Jüngeren Titurel» nennt. Dieser Text galt lange Zeit ebenfalls als Werk Wolframs und war recht beliebt, ist aber für Laien heute schon wegen seiner Länge weniger zugänglich.
    Ebenso komplex, aber kulturgeschichtlich höchst wertvoll, ist ein großer Prosazyklus, der sich um die

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