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Kleine Luegen erhalten die Liebe

Kleine Luegen erhalten die Liebe

Titel: Kleine Luegen erhalten die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katy Regan
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dann herumsaß und die Zeitung las, während Liv mit Mike über seinen Job in der Welt der Wasserhähne und mit Carol über ihre Gallensteine sprach. Aber Fraser und seine Familie standen sich nicht nahe. Sie kannten sich nicht einmal richtig. Wenn Carol Morgan ehrlich wäre, müsste sie sogar zugeben, dass sie ihren jüngsten Sohn an dem Tag verloren hatte, als er zu studieren begonnen hatte und seine Clique und seine Freundin zu seiner Familie geworden waren.
    Doch das war gewesen, bevor Trauer und Kummer Fraser schier zerrissen hatten, wie ein Güterzug durch ihn hindurchgerast waren und ihn wütend, selbstzerstörerisch und selbstmitleidig gemacht hatten. Das war das Schlimmste gewesen.Nachdem seine Mutter ihn aus dem Krankenhaus hatte abholen müssen, wo er mit einem gebrochenen Knöchel gelegen hatte, nachdem er in einem Club in Manchester betrunken von der Feuertreppe heruntergefallen war, hatte Fraser gewusst, dass das Spiel vorbei war. Da war kein Platz mehr für sein jugendliches Ich, das geprägt war von unangebrachtem Stolz, Beschämung und Verlegenheit. Er brauchte seine Mutter wieder wie damals, als er ein blonder Fünfjähriger mit Korkenzieherlocken gewesen war, und in jener Nacht schmiegte er sich in ihre Arme und weinte sich aus.
    Auf eine seltsame Art und Weise waren die eigentlichen Jahrestage also machbar. Zumindest war die Clique an diesen Tagen immer da. Aber dafür war der Tag danach noch schlimmer, denn was nun? Wohin? Das Leben ging weiter, doch das Telefon hörte auf zu klingeln, und wenn die Besonderheit verflogen war, was hatte er dann noch außer sich selbst? Und er war ein Desaster. Er konnte nirgends Ruhe finden, sich für nichts entscheiden. Seine Wohnung erschreckte ihn zu Tode; sie war ein Ort, an dem er nur herumgeisterte, die meiste Zeit in mehr oder weniger alkoholisiertem Zustand, und von einem Zimmer ins andere wanderte. Unzählige Male hatte er sich vorgenommen, jetzt, da er allein war, die Zeit zu nutzen, um Kochen zu lernen, weil Liv eine großartige Köchin gewesen war. Aber irgendwann hatte er es satt, Zitronengras zu kaufen, nur um auf dem Rückweg im Bull vorbeizuschauen und es dort liegen zu lassen. Das Bull in Kentish Town musste den größten Vorrat an Zitronengras in ganz Nordlondon haben.
    Er konnte sich nicht mehr auf Filme konzentrieren und nicht mehr fernsehen – obwohl er mit Liv früher so gern ferngesehen hatte. Da sie alberne Komödien am liebsten mochten, kuschelten sie sich sonntagsmorgens auf dem Sofa aneinander, um Filme wie Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich zu sehen. Heutzutage war er völlig außerstande, längere Zeit vor einem Bildschirm zu verbringen, und manchmal, obwohl er das niemandem gegenüber zugab, ging er schon um acht zu Bett, weil er einfach nicht noch mehr vom Tag ertragen konnte.
    Und dann war da der Job oder vielmehr der traurige Ersatz dafür, da das Leben als freiberuflicher Tontechniker (ein flauschiges Mikro halten, während irgendein Typ vor der Kamera über lokale Geschichte sprach oder einen parteipolitischen Vortrag hielt) nicht allzu viel Geschick erforderte und auch etwas völlig anderes war, als für Bands als Tontechniker zu arbeiten, nicht wahr? Machen wir uns doch nichts vor!, sagte er sich immer häufiger. Dieser Traum, zusammen mit jenem, selbst ein Rockstar zu werden, hatte sich im Laufe seiner Teenagerjahre in seine Zwanziger verlagert und war von einer todsicheren Sache zu etwas noch immer Machbarem geworden, wenn er wirklich Gas gab. Doch heute, mit dreißig, war dieser Traum nur noch eine tröstliche Fantasie, in der Fraser gelegentlich ganz gern mal schwelgte.
    Das Schlimmste war, dass er sich wirklich langsam am Riemen hätte reißen müssen, nachdem Liv jetzt schon über ein Jahr tot war. Aber das Leben war zu einem einzigen großen, langen Versprechen an ihn selbst geworden, dass morgen alles anders sein würde. Morgen würde er die Kurve kriegen. Manchmal fragte er sich, ob seine Trauer inzwischen nicht schon mehr eine Gewohnheit war als ein Bedürfnis, was jedoch im Grunde keine Rolle spielte, weil er nämlich jetzt schon wieder so atemlos davon war – von der Leere –, als wäre er in Beton begraben aufgewacht.
    ♥
    »Möchtest du einen Tee? Ein Schinken-Sandwich?« Fraser konnte Mia reden hören und sie sehen, aber nicht verstehen, was sie sagte. Es war alles gedämpft, als schaute er sie durch eine Glaswand an, und trotzdem war er froh, dass sie hier war. Ja, er war von Dankbarkeit geradezu

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