Kleine Luegen erhalten die Liebe
andererseits jedoch waren sie inzwischen auch beschwipst und entspannt genug, um diese kleine Widersprüchlichkeit zu ignorieren, und so folgte Mia ihm, eine halbe Flasche Rotwein und Gläser in der Hand, die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf.
Da beide der festen Überzeugung waren, dass Alkohol und Musikinstrumente eine im Himmel geschlossene Verbindung waren, verschmähten sie die Stereoanlage und vertieften sich in ihre eigenen Bemühungen. Fraser spielte She’s electric von Oasis, und Mia sang mit. Es war ein Stück, das sie mit Liv und Anna schon oft in Karaoke-Bars gesungen hatte, aber allein in Fraser Morgans Schlafzimmer erforderte es ein wenig mehr, und trotz ihres Alkoholkonsums wusste sie jetzt schon, dass es ihr am nächsten Tag sehr peinlich sein würde. Was sie jedoch nicht davon abhielt, noch mehr von Oasis, Babybird und auch einen Song von Crowded House zu singen, dessen Text sie allerdings nicht kannte. So tanzte sie stattdessen und murmelte hin und wieder die eine oder andere Passage, an die sie sich erinnerte.
»Mehr Wein!«, erklärte Fraser irgendwann. »Ich schätze, wir brauchen auf jeden Fall mehr Alkohol.«
Er sang vor sich hin, als er hinunterging und Mia das Bad aufsuchte. Jemand hatte einen Zettel über der Toilette befestigt: BITTE KEINE GROSSEN GESCHÄFTE AUF DIESER TOILETTE ! , was sie so amüsierte, dass sie sich schüttelte vor Lachen, während sie auf Frasers Toilette saß und ein »kleines Geschäft« verrichtete.
Bisher lief also alles bestens, und mit ziemlicher Sicherheit würde sie Fraser heute noch ins Bett kriegen. Also wollen wir die Sache mit den »guten Freunden« doch mal auf eine andere Ebene bringen!, sagte sie sich in ihrem Rausch. Lassen wir das Spiel beginnen!
Vielleicht sollte sie sich ihm einfach an den Hals werfen. Nein, nein, nicht nach dem, was beim letzten Mal passiert war, als sie es getan hatte. Nämlich nichts. Rein gar nichts. Das war das Problem. Sie betätigte die Spülung, zog ihre Hose hoch und bemerkte erst jetzt die coole Blautönung ihrer Beine, wo die billige Jeans gesessen hatte. Falls sie es bis in Fraser Morgans Bett schaffte, würde sie es bei ausgeschaltetem Licht tun müssen.
Sie hüpfte praktisch zu seinem Schlafzimmer zurück, und erst als sie die Tür schloss, bemerkte sie den obligatorischen Bilderhalter mit Fotos. Wie vorhersehbar. Jedes Studentenschlafzimmer im Land musste einen solch rahmenlosen Bilderhalter haben. Aber da die Fotos natürlich auch interessant waren, konnte Mia nicht widerstehen und hockte sich auf den Boden, um sie zu betrachten.
Da war eins von Fraser und seinem Bruder, als Frase noch ein kleiner Junge gewesen war. Schon damals hatte er diese schönen Augen gehabt, doch einen Kopf voller weißblonder Locken. Sie wandte den Blick ab, bevor sie sich dazu verleiten ließ, sich ihre Kinder mit ihm vorzustellen. Ein anderes Foto zeigte ihn vor der Schule: ein Porträt vor einem Spielplatzchaos. Dann machte ihr Magen einen Satz, als sie Fraser mit einem Mädchen sah. Einem sehr hübschen Mädchen. Es war offensichtlich auf einer Party oder einem Oberstufenball aufgenommen worden, denn Fraser trug ein Dinnerjacket mit Fliege und sie ein trägerloses kurzes Kleid aus schwarzem Samt. Sie saßen auf einem Sofa oder einer Chaiselongue, wie man sie in Hotelfoyers findet: Fraser entspannt zurückgelehnt mit ausgestreckten Beinen und einem Arm um das Mädchen, und er strahlte ein jungenhaftes Selbstvertrauen aus, während sie sich an ihn lehnte und ihre Hand auf seiner Brust lag.
Mia beugte sich vor, um es sich genauer anzusehen, im selben Moment, in dem Fraser betrunken hereinstolperte …
»Au!«
… und Mia die Tür ins Gesicht schlug und sie umwarf.
»Oh Gott, entschuldige, das tut mir leid!« Fraser stellte die Flasche Wein ab, und plötzlich hielt er Mias Gesicht zwischen den Händen, und sie sahen sich in die Augen. »Alles in Ordnung mit dir?«
Sie hatte jetzt die Chance, ihn einmal richtig anzuschauen, was sie sich schon die ganze Nacht gewünscht hatte. Ja, sie stand noch immer auf ihn. Sehr sogar.
Küss ihn! Küss ihn einfach …
Aber sie schien auf einmal wie gelähmt zu sein, fast so, als klebte sie am Boden.
»Ja, es ist nichts passiert …«
Und viel zu schnell war der Moment verflogen.
»Das geschieht mir nur recht für meine Neugier.«
Sie setzten sich beide mit dem Rücken an die Wand, und Fraser schenkte Wein nach.
»Wer ist dieses Mädchen?«, fragte Mia. Sie war betrunken, also warum
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