Kleine Luegen erhalten die Liebe
er wieder die Augen verdrehte. Liv und Norm hatten sich immer großartig verstanden. Sie waren durch Musik – die Art von Musik, die er selbst nicht mochte – und einen albernen, fast schon surrealen Sinn für Humor verbunden gewesen. Es hatte Fraser vorher nie gestört, doch jetzt war er ein bisschen … was? Neidisch? Eifersüchtig? Das war ja lächerlich!
Er schwieg einen Moment. »Klar«, sagte er dann. »Aber lass uns doch mal ehrlich sein: Wir kannten Liv und wissen, dass ihre Chancen, je wirklich einen Waschbrettbauch zu erlangen, sehr gering waren. Wir reden hier von der Frau, die fünfhundert Mäuse für ein Fitnessstudio hinlegte und dann ein Mal in achtzehn Monaten hinging und eine Hantel auf ihren Fuß fallen ließ.«
Norm lachte laut heraus. »Oh Gott, ja, ich erinnere mich daran. Das war typisch. Sie brach sich drei Zehen, nicht? Und dann musste sie wochenlang diesen bescheuerten Stützschuh tragen. Sie kam damit sogar zu unserer Hochzeit, weißt du noch?«
Oh ja. Es gab nichts, was Fraser nicht mehr wusste. Er erinnerte sich sehr gut an den Morgen von Melodys und Norms Hochzeit in Godalming, an einem hammermäßig heißen Julitag. Liv stand in dem hübschen Sommerkleid, das sie sich gekauft hatte, einen Flipflop an einem Fuß, den riesigen Yeti-Schuh an dem anderen, vor dem Spiegel in ihrer Pension und lachte und weinte fast gleichzeitig.
Aber Fraser sagte nichts, weil er wieder spüren konnte, wie sein Magen sich verkrampfte, als hätte er mehr gegessen, als er verdauen konnte.
»Jedenfalls bin ich dankbar«, meinte Norm auf dem letzten anstrengenden Stück bergan, wo es ihm nicht leichtfiel, gleichzeitig zu laufen und zu sprechen. »Ich bin einfach nur dankbarfür Livs Liste – denn seien wir doch mal ehrlich: Liv und ich waren uns in dieser Beziehung sehr ähnlich: zwei faule Säcke, was Fitness anging, und ich glaube nicht, dass ich mich ohne sie und ihre Liste je dazu aufgerafft hätte, fit zu werden und diesen Bauch loszuwerden. Verstehst du, was ich sagen will?«
Er warf Fraser einen Blick zu, der schweigend weiterlief.
»Und man fühlt sich doch viel besser durch Bewegung, nicht? Viel lebendiger. Unendlich viel lebendiger!«
Sie hatten die Anhöhe überwunden und liefen nun mit klatschenden Schritten bergab.
Zum x-ten Mal an diesem Wochenende blickte Fraser himmelwärts. Norm war oft so … missionarisch. So war er auch gewesen, als er Golf »entdeckt« hatte, als er von London nach Lancaster gezogen war (»Keine Sirenen, Fraser, KEINE SIRENEN. Es ist das reinste Paradies hier!«), und jetzt wieder bei seinem jüngsten Projekt, dem Sixpack und der Liste. Fraser war gereizt und entnervt, und eigentlich verstand er nicht einmal, warum. Es war schließlich seine Freundin, die die Liste verfasst hatte. Sollte er da nicht bei allem das Ruder in der Hand halten und erpicht darauf sein loszulegen? Aber es brachte nur wieder alles zurück: Livs Stimme in seinem Kopf, ihre Handschrift auf der Liste, ein Leben, das wieder einmal in der Luft hing …
Und den Kuss.
Fraser zog scharf den Atem ein.
»Hey, ich hab mir auch was überlegt, weißt du«, sagte Norm. Sie hatten aufgehört zu laufen, und Fraser konnte die Vögel hören, das gedämpfte Geschrei von spielenden Kindern und noch etwas, von dem er wünschte, er könnte es zum Verstummen bringen. »Ich wollte dieses Wochenende mit dir darüber reden. Wie fändest du es, wenn du und ich den Knüller auf der Liste übernehmen würden? Wenn wir nach China fliegenund die Chinesische Mauer besteigen würden, meine ich. Wir könnten die Reise noch in diesem Herbst machen, wenn wir uns am Riemen reißen. Ich habe noch Urlaub zu kriegen, den ich dazu verwenden könnte.«
»Das kann ich mir nicht leisten, Mann«, erklärte Fraser rundheraus. Besser die Idee im Keim ersticken, dachte er, und so schnell wie möglich das Thema wechseln. Vielleicht sollten sie auf dem Heimweg kurz im Bull vorbeischauen und Karen Hallo sagen? Sie würde jetzt gerade ihre Schicht beginnen, und Karen konnte sehr gut mit neuen Leuten reden, selbst wenn sie nicht immer darauf eingingen. Es wurde Fraser ein bisschen zu anstrengend mit Norm allein, und Karen würde sich als gute Ablenkung erweisen. Sie würde Norm ihren »Wie man das perfekte Guinness zapft«-Vortrag halten und eine gute Stunde damit totschlagen …
Doch wieder blieb Norm hartnäckig. »Ich wusste, dass du das sagen würdest«, erklärte er und legte einen Arm um seinen Freund. »Aber Norm hat ein
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