Kleine Luegen erhalten die Liebe
stöckelte auf ihren Pumps mit Zebramuster durch die Diele, und Mia, noch immer mit Billy in den Armen, schloss die Eingangstür und blickte himmelwärts, als suchte sie dort Unterstützung.
Sie folgte ihrer Mutter zu dem kleinen Wohnzimmer, in dem, wie sie erst jetzt bemerkte, fast alle Oberflächen mit Spielzeugen und geöffneten Geburtstagskarten bedeckt waren.
»Eine Tasse Tee, Mum?«, fragte sie, als Lynette den Karton auf den Boden stellte und sich mit gefalteten Händen davor niederließ, als wäre es ein Geschenk für sie , das zu öffnen sie kaum noch erwarten konnte.
Lynette strich sich übers Haar. Sie schien sich schon durch ihre bloße Anwesenheit im Apartment ihrer Tochter ungepflegt zu fühlen. »Das wäre schön«, sagte sie … und dann kam es auch schon: »Ich weiß natürlich, dass du viel zu tun hast, Liebling, aber es ist sehr unaufgeräumt hier, und ich habe dich dazu erzogen, immer sauber und ordentlich zu sein …«
Wow. Diesmal waren es weniger als fünf Minuten, bis dieser Satz fiel!
Billy begann zu weinen und zappelte, weil er herunterwollte.Dann klingelte die Zeituhr für die Würstchen in Blätterteig, und Mia setzte den Jungen ab, um in die Küche zu gehen.
»Wird Billy das Geschenk seiner Omi denn nicht auspacken?«, rief Lynette aus dem Wohnzimmer, als Mia die Backofentür öffnete … um festzustellen, dass sie den Grill statt des Ofens eingeschaltet hatte. Die Würstchen in Blätterteig waren nur noch verkohlte Klumpen, und Wolken von Rauch quollen aus dem Ofen.
Und da ging auch schon der Rauchmelder los. Fluchend schwenkte Mia ein Küchentuch darunter, während sie sich fragte, warum alles so reibungslos geklappt hatte, bis ihre Mutter aufgetaucht war. Pünktlich zu Lynettes Erscheinen brach dann das Chaos aus, nur damit es so aussah, als verbrächte Mia ihr ganzes Leben damit, im Pyjama herumzulaufen und die Küche in Brand zu setzen.
»Mia? Ist alles in Ordnung da drinnen? Es riecht nach Verbranntem, und Billy ist schon ganz hibbelig, weil er sein Geschenk aufmachen will, nicht wahr, mein Süßer?«
Mia gab ihre Bemühungen auf, den gottverdammten Rauchalarm zu stoppen, nahm stattdessen nur die Batterien heraus und versuchte, sich zusammenzureißen angesichts dessen, was sie stets vergaß: die unglaubliche Ichbezogenheit ihrer Mutter und ihre totale Unfähigkeit, sich nützlich zu machen.
Für die sehr attraktive Lynette Forrest mit ihrem wohlgeordneten Lebensstil in Hertfordshire war das Leben eine einzige großartige Geste, für die sie nicht einmal ihrem Nagellack einen Kratzer zufügen musste. Sie hatte gepflegtes blondes Haar, große, perfekt geschminkte blaue Augen und eine Vorliebe für teure, mit Pailletten besetzte T-Shirts mit Sprüchen wie Paris, je t’aime , obwohl sie noch nie dort gewesen war. Wegen des ganzjährigen Sonnenscheins und der Möglichkeiten für Urlaubsflirts zog sie die Kanarischen Inseln vor.
Heute hatte sie ihre gelifteten Brüste (die sie sich selbst zu ihrem Fünfzigsten vor drei Jahren geschenkt hatte) mit dem schon erwähnten Shirt bedeckt, zu dem sie ein Tuch im Tigermuster und eine cremefarbene Lederjacke mit Quasten trug, die ein Vermögen gekostet haben musste, aber trotzdem billig wirkte, einen mit Spitze besetzten Rock in Leopardenoptik von Karen Millen, der vermutlich auch Unsummen verschlungen hatte – und dazu Stöckelschuhe mit Zebramuster. Ihr Look besagte »glamourös und teuer«.
Mia war Lynettes einziges Kind, das Ergebnis eines kurzen Flirts in den späten Siebzigern mit einem Autohausbesitzer namens Ray. Nachdem Lynette sich von ihm getrennt hatte (die Beziehung war schon vor Mias Geburt zu Ende gewesen, deshalb hatte sie ihren Vater nie kennengelernt), war Lynette sofort dorthin zurückgekehrt, wo sie stehen geblieben war. Sie hatte ihre Tochter allen möglichen Leuten angedreht, um ihr Single-Leben wieder aufnehmen zu können, das größtenteils aus einem einzigen langen Shoppingtrip zu bestehen schien.
Natürlich hatte sie zahlreiche Freunde. Mia hatte den Überblick über die vielen Male verloren, bei denen sie einem von Mummys »Freunden« vorgestellt worden war, nur um diesen »Freund« am nächsten Morgen bei einem leidenschaftlichen Kuss mit ihrer Mutter in der Küche anzutreffen. Sie waren immer reich, diese Freunde, fuhren stets teure Autos und stanken nach Aftershave. Zwei von ihnen hatte Lynette geheiratet: Als Ersten Barry, der dann mit einer Thailänderin aus einer Striptease-Bar durchgebrannt war.
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