Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Luegen erhalten die Liebe

Kleine Luegen erhalten die Liebe

Titel: Kleine Luegen erhalten die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katy Regan
Vom Netzwerk:
nicht gerade wie die offensichtlichste Kombination erscheint.) Sie hat auch irgendwann mal einen Berufsberatungskurs gegeben, worüber alle höchst erstaunt gewesen waren. Doch nichts von alldem hat ihr Interesse lange wachhalten können. Fraser vermutet stark, dass das so ist, weil Anna sich zu schade für echte Arbeit ist und denkt, sie sollte besser nur in Cafés herumsitzen, Brillen mit Fensterglas tragen und mit »interessanten Leuten« Umgang haben, als sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Liv hatte wenigstens an einer Mittelschule Englischunterricht gegeben und war aufrichtig interessiert an Literatur gewesen.
    Jetzt erinnert er sich auch daran, dass sie einmal zu Wordsworth’ einstigem Zuhause, dem Dove Cottage im Lake District, gefahren waren. Es war einer der schönsten Orte, die Fraser, ein Stadtkind aus den Außenbezirken Manchesters, je mit Liv besucht hatte, und er erinnert sich, wie erstaunt, ja schon fast ehrfürchtig er die Landschaft betrachtet hatte, die malerischer war als alles andere, was er je gesehen hatte – so idyllisch, dass sie ihn sogar dazu inspiriert hatte, ein paar Gedichtzeilen zu schreiben.
    Oh ja, das war der alte Fraser Morgan, denkt er wehmütig, während er wartend in der Schlange steht. Der Fraser, der gelegentlich sogar inspiriert war und den inneren Frieden hatte, über Dinge nachzudenken .
    Anna hat ihm auch weiterhin beharrlich den Rücken zugewandt, und Fraser bleibt nichts anderes übrig, als sich mit dem Beobachten der Leute zu beschäftigen. Er ist fasziniert von den Studenten, die überall zu sein scheinen, mit einem Stapel Bücher auf den Marmorstufen sitzen oder in den bequemen Sesseln oben im ersten Stock an ihren Laptops arbeiten. Wie kommt es, dass sie so jung aussehen?, fragt er sich. Es ist schon fast beleidigend. Einige von ihnen wirken nicht älter als zwölf. Aber wahrscheinlich hat er auch einmal so ausgesehen, bevor Alkohol, Zigaretten und Sorgen in seinem Leben Einzug hielten. Was hatte er damals von Leuten gedacht, die auf die dreißig zugingen? Dass sie alt waren, was sonst! Was war der Sinn des Lebens, wenn man die dreißig überschritten hatte?
    Endlich sind sie an der Reihe, und ihre Daten werden in den Computer eingegeben. »Aus welchem Grund studieren Sie heute?«, fragt die Frau an der Anmeldung, die recht hübsch ist bis auf ihren Haarschnitt, der so aussieht, als hätte man ihr einfach einen Topf über den Kopf gestülpt.
    Fraser atmet tief ein und langsam durch die Nase wieder aus. Auf Wunsch meiner toten Freundin, denkt er und bekommt wieder dieses unangenehme, verkrampfte Gefühl im Magen, weil es ihm wie pure Heuchelei erscheint.
    Aber jetzt ist er nun mal hier und muss sich auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentrieren. Er erinnert sich an etwas, das Mia ihm sagte, als er sie aus Vegas anrief: dass keiner von ihnen je mit Sicherheit erfahren würde, ob Liv den Kuss gesehen hatte. Und er wollte versuchen, sich mit dieser Frage nicht länger immer und immer wieder zu quälen, denn es würde zunichts führen. »Schuld«, hatte Melody einmal bemerkt, »ist ein egoistisches und nutzloses Gefühl.« Nein, das hier war für Olivia, für die Dinge, die sie nicht mehr hatte tun können, und das Leben, das sie nicht mehr hatte leben können.
    Irgendwann, nach einer schier endlosen Zeit, die ihm wie eine Stunde voller Sicherheitsvorkehrungen vorkam, die in einem Hochsicherheitsgefängnis nicht fehl am Platz erscheinen würden, erreichten sie den Lesesaal im ersten Stock. Fraser hat nur die ausdrücklich erlaubte Plastiktüte dabei: mit Stiften, Laptop, dem auf stumm gestellten Handy und einem Notizbuch. Und da ihm noch der Kopf schwirrt von all den nicht erlaubten Dingen, wie beispielsweise einer Flasche Wasser, damit er nur ja nicht auf die Idee kommt, eine Seite aus Krieg und Frieden in winzige Stückchen zu zerreißen und einen Schneerüttler daraus zu basteln, hat er sich auch schon eine baldige Kaffeepause vorgenommen.
    »Gut, dann sind wir also fest entschlossen?«, wispert Anna, während sie die Tür zum Lesesaal aufhält.
    »Du holst dir Präludium , okay? Ich werde mir Lyrical Ballads heraussuchen, weil ich Tintern Abbey liebe. Liv und ich mochten dieses Gedicht beide sehr. Und dann lesen wir, machen uns ein paar Notizen, gehen und besprechen sie irgendwo und lernen, sagen wir mal, zehn Zeilen auswendig?«
    Fraser hält inne, und dann beginnt er plötzlich laut zu lachen. Er weiß selbst nicht, warum, es ist nur Annas ernstes Gesicht,

Weitere Kostenlose Bücher