Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren
die Latte etwas höher zu legen: im Anschluss an eine Schweinshaxe und zwei Maß Bier. Möglichst in der Sonne verputzt. Danach kann man kaum noch gehen. Aber Radfahren schon. Auf jeden Fall, wenn man halbwegs trainiert ist.
Es gibt meines Wissens nur einen Wettbewerb, der Sport und Kulinarisches miteinander verbindet: der
Marathon du Médoc
. Er führt über die klassische Distanz durchs Bordelais. Start und Ziel sind in Pauillac, und die Läufer passieren die berühmten Bordeaux-Chateaux, wo ihnen Wein angeboten wird, in der Regel roter, dazu Käse, Wurst, Kuchen und dergleichen mehr. Es gibt mehr als 20 solcher Versorgungsstellenan der Strecke, überall läuft Live-Musik, zwischen den Rebstöcken spielen Rockbands und Folkloregruppen. Bei Kilometer 40, kurz vor dem Ziel, wird Weißwein verabreicht, dazu gibt es Austern, so viele man will beziehungsweise kann. Und selbstverständlich folgt ein Abschlussmahl. Das Ganze ist ein Fest des Lebens, seiner Zumutungen wie seiner Genüsse. Es ist etwas anderes als der sture Nur-Sport, aber keineswegs leichter zu bewältigen. Die Teilnehmer werden von diesem Triathlon aus Essen, Trinken und Laufen aufs Äußerste strapaziert, sofern sie sich wirklich darauf einlassen und nicht einfach Wasser trinkend durchlaufen. Der Wein dürfte nicht das Problem sein, aber wenn ich an das parallele Essen denke, bekomme ich Sodbrennen. Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll, beim Laufen wird der Magen doch permanent durchgeschüttelt, so dass zwangsläufig Säure austritt, und ich vermute mal, dass die meisten kaum etwas essen und sich mehr am Wein gütlich tun.
Anders verhält es sich auf dem Rad. Man sitzt, wenn man will, fahrend zu Tische und hält den Oberkörper verdauungsförderlich still. Die energiehungrigen Beine fordern kontinuierlich Nachschub, das heißt, mit Stockungen infolge mangelhaften Endverbrauchs ist nicht zu rechnen. Auf dem Rad kann jeder zu sich nehmen, wie viel und was er will. Und trinken sowieso. Alle Rennveranstalter können sich diese Version ja mal durch den Kopf gehen lassen.
Der kausale Zusammenhang von Ausdauersport und Alkoholkonsum ist bestürzend unerforscht. Es gibt Gerüchte von früheren Frankreich-Rundfahrten, denen zufolge sich manche Fahrer vor einem schweren Berg schnell noch eine halbe Flasche Wein oder sogar Cognac einverleibt haben sollen, als eine Art Doping, damit die Qualen erträglicher wurden. Das machte sie gewiss nicht schneller, aber schmerzresistenter.Vor einiger Zeit habe ich das nicht geglaubt – man reduziert schließlich sein Leistungsvermögen damit. Inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher. Ich kann ganz gut fahren auf Alkohol. Irgendwie sind die Grenzen dann anders abgesteckt, die Schinderei fühlt sich anders an, sie scheint sich von der Muskulatur auf den Kreislauf zu verlagern. Ich habe das noch nicht restlos ausgetestet, weil es zum Trinken und zum Fahren unter Alkohol der entsprechenden Gesellschaft bedarf und die selten zu finden ist.
Das
macht man nun wirklich nicht allein. Man braucht einen Mitstreiter, dem es eine ähnliche Gaudi bereitet, gewisse Vernunftschranken zu brechen, und der mit der schönen Gabe des Galgenhumors gesegnet ist. Solche Typen sind aber rar. Ein stramm in Limitnähe durchgefahrener Tagestrip von Biergarten zu Biergarten, bei glühender Sonne, mit einem leistungsbereitgleichdurstigen Verrückten an der Seite, ist jedenfalls ein Vergnügen höherer Ordnung und einer der Anlässe, für die man sich letztlich den Helm gekauft hat. Da man sich auf dem Rad zwischendurch immer wieder
die Kante gibt
, ist es andrerseits kaum möglich, richtig betrunken zu werden. Die Kondition entscheidet nicht nur, wie weit und schnell, sondern auch, wie oft man zwischendurch an die Boxen fährt.
Manche werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und ausrufen: Was für eine Belastung für den Kreislauf!
Ja, eben.
Nicht verschweigen will ich ferner meine ausgezeichneten Erfahrungen mit der Kater-Bekämpfung. Wenn ich es am Vorabend übertrieben habe mit dem Wein und am nächsten Tag zu wirklich nichts in der Lage bin, wenn der Kopf nicht denken und der Magen nichts verdauen mag – Radfahren funktioniert komischerweise immer. Und zwar nicht vielmühevoller als sonst. Mir fällt es jedenfalls an manchen Tagen weit schwerer, aus dem Bett zu steigen als danach aufs Rad. Ich kann auch keine übermäßigen Leistungseinbußen feststellen. Schon nach einer Stunde intensiven Tretens und Transpirierens spüre ich
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