Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
Palmer konnte sie zwar nicht entziffern, aber dank der genormten Anordnung der Tasten war das auch gar nicht nötig. Hätte ihn jemand gefragt, von wem er das Gerät bekommen hatte und wann das gewesen war, so wäre seine Antwort kaum mehr als eine vage Vermutung gewesen. Er wusste es nicht mehr.
Rex Palmer nahm einen kräftigen Schluck und hörte sich den langweiligen Streit zwischen Vater Großmann und Sohn geduldig bis zum Ende an. Dann spulte er das Band zurück. Er wusste nicht, ob er es jetzt gleich oder erst morgen löschen sollte. Das Eingeständnis von Markus Großmann, seinen Konkurrenten Friedanger mit nicht gerade zimperlichen Mitteln im wahrsten Sinne des Wortes ausgebootet zu haben, war leider nicht verwertbar, wenigstens nicht offiziell. Und nun wollte er mit der Verwandlung der Jacht in eine Rennmaschine dem Bootsbau Friedanger den Todesstoß versetzen. Die Hochschule vermietete ihren Windkanal stundenweise für eine Summe, die außer in der Werbung sonst nirgends erhoben und gezahlt wurde. Friedanger konnte sich das keinesfalls leisten. Großmann dagegen hatte ein dickes Bankkonto, aber das brauchte er gar nicht anzugreifen, denn sein Sohn schrieb ja über das Thema eine Diplomarbeit, und die kostete nichts.
Palmer erhob sich und schlurfte in die Küche. Er sah im Kühlschrank nach, was seine Haushälterin ihm zum Abendessen vorbereitet hatte. Als er nichts fand, fiel es ihm wieder ein: Er hatte sie für heute beurlaubt. Ein unverzeihlicher Fehler. Aber es war ja auch noch viel zu zeitig zum Abendessen. Man müsste dem Friedanger eine Nachricht zustecken. Aber wie? Anonym? Palmer schüttelte den Kopf. Auf seinem Schreibtisch war mancher anonyme Zettel gelandet. Ob darin die Wahrheit stand oder ob es reine Verleumdung war: Diese Briefe hinterließen immer einen sauren Geschmack im Munde.
Julia lag bequem und völlig entspannt auf dem drei Meter langen Sofa von Christian Liage. Sie hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Beine angezogen. Ihre Beine waren nackt, wie immer, wenn sie allein zu Hause war. Sie konnte Strumpfhosen nur tagsüber ertragen. Noch schlimmer war Wolle auf der nackten Haut. Das war für sie die reinste Folter. Aber jetzt fühlte sie sich sehr wohl. Auf dem Couchtisch stand ein Glas Weißwein und ein Tonbandgerät, aus dessen Lautsprecher ein Streit zwischen Vater Großmann und seinem Sohn quoll. Julia gähnte und wollte das Gerät abschalten, als sie den Sohn sagen hörte: »... wer die stehlen will, den wird der Geier beißen.«
Mit >die< war die CD mit dem Programm zum Umrechnen vom Modellsegel auf das Original gemeint. Das hatte Vater Großmann kurz vorher erwähnt. Aber wer oder was war der Geier? Julia spulte das Band ein Stück zurück und hörte es sich noch einmal an. Aber sie wurde nicht schlau daraus. Dann spulte sie das Band bis zum Anfang zurück, setzte sich auf das Sofa und hörte sich den ganzen Streit noch einmal Satz für Satz an. Sie beugte sich vor, drehte die Lautstärke weiter auf und konzentrierte sich mit geschlossenen Augen auf jedes Wort. Es half nichts. Sie sprang auf, warf die Arme theatralisch in die Höhe und rief: »Wer ist der Geier?«
Sie tippte Krefelds Nummer in das Handfunkgerät ein und fragte ihn, wer der Geier sein könnte.
»Ach, das ist gar nichts«, sagte Krefeld, »das ist nur so ein Ausdruck. Wenn jemand eine Antwort nicht weiß, dann sagt er >Das weiß der Geier.< Das ist ein Ausruf wie >Zum Kuckuck<. In jeder Abteilung von Großmanns Werft kann man das hören. Ich messe dem absolut keine Bedeutung bei.«
Das war also nichts. Doch Julia gab sich damit nicht zufrieden. Sie schlug in einem alten und in dem neuesten >Brockhaus< unter >Geier< nach. Aber das brachte nicht mehr als der letzte >Bertelsmann<. Sie suchte im Internet, im Synonymwörterbuch, im Zitatenlexikon und sogar im Berliner Schimpfwörterlexikon. Schließlich resignierte sie und dachte, vielleicht hat Krefeld recht, und Heiko Großmann hat es einfach nur so dahergeredet.
16.
Ingrid, alias Julia Getti, saß in ihrem Amsterdamer Büro und stützte die Ellenbogen auf die Schreibtischplatte. Wolfram Krefeld sollte immer, wenn Heiko Großmann am Windkanal mit den Modellsegeln experimentierte, die richtigen Daten speichern, dem Heiko Großmann aber falsche mitgeben.
»Wie soll ich das denn machen?«, fragte er ziemlich erbost. Er wollte noch hinzufügen >So stellen kleine Mädchen sich die Datenverarbeitung vor<, aber er verkniff es sich; schließlich war das
Weitere Kostenlose Bücher