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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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Satinbluse wirkt festlich, aber nicht zu aufgedonnert.
    Tina selbst trägt ihr Etuikleid aus weinroter Wildseide, das sie vor einem halben Jahr voller Begeisterung erstanden hat. Bis zum heutigen Abend hatte sie noch keine Gelegenheit, es zu tragen. Doch in dieser Umgebung wirkt es angemessen.
    Leise Musik und gedämpftes Licht empfangen uns in der nur spärlich besetzten Bar. Wir finden einen Platz auf dem Sofa direkt vor einer der sieben Meter hohen Panoramascheiben. Unter uns funkeln die Lichter des Hafens. »Wir sind hier neunzig Meter hoch«, weiß Tina. Wir besuchen beide zum ersten Mal diese Bar, über die Tina einen Artikel in einer Frauenzeitschrift gelesen hat. »Ich bin ein bisschen aufgeregt«, gesteht sie. »Jedenfalls sind wir im richtigen Alter«, stellt sie nach einem kurzen Blick durch den Raum fest. »Wir sind noch nicht mal die Ältesten.«
    Wir bestellen jede ein Glas Rotwein, hören der Musik zu und sehen auf den Hafen. Ab und zu seufzt eine von uns »Schön!«, und die andere nickt.
    Ich versuche, meine Gedanken an Andreas, Papa und Simon zu verdrängen und mir um die Mädchen keine Sorgen zu machen. Tina sieht sich immer wieder verstohlen im Raum um, summt manchmal eine Melodie mit und entspannt sich zusehends. »Ich bin so froh, dass du noch vorbeigekommen bist!«
    »Danke. Es ist auch schön, dass du mich mitgenommen hast.«
    »Dabei wollte ich erst auf den Kiez in eine Disco.«
    »Ach?«
    »Ja. Ich dachte, sich allein zu betrinken ist doch kein abendfüllendes Programm. Aber ich wusste nicht wirklich, wohin mit mir. Ich wollte mich gerade aufhübschen, als du geklingelt hast.« Sie sieht wieder über den Hafen. »Weißt du was? Ich habe gerade große Erkenntnisse! Du bist trotz der Kinder noch nicht vermuttert. Und ich habe das Gefühl, dass ich heute Abend anfange, mich mit meinem Alter anzufreunden.«
    »Von welchem Alter redest du?« Ich erzähle Tina von Papas Kontakt zu einer gewissen, mir noch unbekannten Hedi.
    Tina grinst. »Vielleicht ist ein Tangokurs doch keine so schlechte Idee!«
    Ihr Handy piepst. Sie blickt auf das Display und hält es mir hin. »Jetzt kannst du wirklich feiern.«
    Ich lese. »Falls Franzi bei dir, bitte kurze Antwort. Mit den Kindern alles o.k. Andreas.«
    Ich muss lächeln. Tina stößt mich an. »Nanu, was war das eben für ein Lächeln?«
    »Ein erleichtertes!«, wehre ich ab. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Ich empfinde mehr als Erleichterung. Monatelang war ich allein für die Mädchen verantwortlich, habe alle Ängste und Sorgen eigenverantwortlich durchgestanden. Jetzt ist Andreas da – und »unsere« Kinder sind bei ihm gut aufgehoben. Aber diese Freude ist ein sehr zartes, zerbrechliches Gefühl, das ich instinktiv selbst vor Tina verbergen will.
    Sie sieht mich immer noch an. »Schreibst du ihm zurück?«
    »Auf keinen Fall! Sollen die sich ruhig noch ein paar Gedanken machen!«
    Also tippt Tina ein kurzes »Franzi hier. Alles gut. Tina« und schickt die SMS ab. Dann greift sie zum Glas. »So, und jetzt lass uns weiterfeiern!«
    Wir stoßen an.
    »Fröhliche Weihnachten!« Ein leicht graumelierter Anzugträger prostet uns vom Nebensofa zu. Er erinnert mich mit seinem offenen Lächeln und den kurzen Stoppelhaaren ein wenig an den Kassierer in meiner Sparkassenfiliale.
    Tina lächelt geschmeichelt. »Danke gleichfalls!«
    Darauf stoßen wir alle an, wobei sich der Graumelierte als Erich vorstellt, und den asiatischen Herrn, mit dem er zusammensitzt, als seinen Zufallsbekannten Cheng. Wir plaudern für eine Weile. Dabei erfahren wir, dass Erich mit seiner Frau Streit gehabt und in der Bar Asyl gesucht hat, während Cheng in Hamburg gestrandet ist. In einem Mischmasch aus Englisch und Deutsch erzählt er, dass er Geschäftsmann und erstmals in Deutschland sei – er war nicht auf die arbeitsfreien Weihnachtsfeiertage eingestellt. Selbstironisch lächelt er. »Cheng heißt ›erfolgreich‹, success, ja? Kein gut proof für mein Name!«
    Nach einer Weile schlägt Erich vor, dass wir uns zusammensetzen. Cheng lädt uns ein. Erich blickt aus dem Fenster und zeigt auf zwei Schiffe, die sich im Hafeneingang aneinander vorbeischieben. »So sind wir heute Abend auch«, sagt er. »Wie Schiffe, die einander zufällig begegnen.«
    Cheng versteht ihn sofort. »Like ships in the sea!«
    Wir stoßen wieder an. Und wie es manchmal unter Fremden vorkommt, erzählen wir einander erstaunlich persönliche Geschichten. Cheng berichtet von den Hoffnungen, die seine

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