Kleine Schiffe
Zipfel grauer Haare über dem Rand der blauen Wolldecke. Die beiden anderen habe ihm das Sofa überlassen. Auch er schnarcht gleichmäßig. Simon hat sich zusammengerollt und sieht im Schlaf wieder so jung aus, wie er ist. Er hat seine Decke weggestrampelt. Ich ziehe sie sanft hoch. Dabei wird er wach und sieht mich verwundert an. Schnell lege ich den Finger auf den Mund. Ich will die anderen nicht wecken.
Simon nimmt meine Hand. Er sieht mich bittend an. Ich mache mit meinem Kopf eine Bewegung in Richtung Küche und forme mit meinem Mund lautlos das Wort »Kaffee«.
Simon nickt. Wir schleichen aus dem Zimmer und schließen die Tür hinter uns.
»Mach du den Kaffee – ich schäume die Milch auf«, schlage ich vor. Bald sitzen wir vor zwei Milchkaffee-Bechern.
»Wo warst du denn?«, fragt Simon. Ich erzähle von Tina, von Erich und von Cheng.
Simon grinst. »Klingt nach einem spannenden Abend!« Er rümpft die Nase. »Da war es doch gut, dass es hier gestern so gekracht hat.«
»Gut?«
»Na, sonst hättest du wohl kaum in dieser schicken Bar gefeiert!«
»Und ihr hättet euch nicht gepflegt betrunken!«
»Das war Andreas’ Idee. Der ist spätnachts noch zur Tankstelle, weil es hier nichts mehr zu trinken gab.« Er nickt gut gelaunt. »Andreas ist wirklich nett. Wir hatten am Ende viel Spaß miteinander. Hermann ist ja ein leidenschaftlicher Skatspieler – und hat uns ordentlich abgezockt. Der Weihnachtsstern ist übrigens von mir: ein Mitbringsel aus Frankreich. Andreas fand den so gut, dass er ihn sofort aufhängen wollte.«
»Und die Mädchen?«
»Die sind irgendwann wach geworden. Wir haben hier gesessen, gespielt und getrunken – ach, und die Reste von der Gans haben wir auch noch verputzt. Um vier Uhr meldete sich das Babyphon. Hermann ist dann rauf und hat erst Amélie, dann Lisa-Marie geholt. Andreas hat ihre Flaschen gemacht, und dann haben wir eine Stunde mit ihnen gespielt. Das war’s auch schon.« Simon rührt in seinem Kaffee und wirft mir einen nachdenklichen Blick zu. Schließlich sagt er: »Wegen gestern Abend … Ich glaube, ich muss mich entschuldigen.« Er legt seine Hand auf meine. »Du hattest recht mit deinem Vorwurf. Ich wollte wieder zurück in die Sorglosigkeit unseres Sommers!«
»Aber wir haben uns doch getrennt!«
Simon nickt. »Ja, ich weiß. Und das ist auch gut so. Aber … weißt du, mit dir war Sex … wunderschön und vor allem … unverbindlich.«
»Unverbindlich?«
Simon presst die Lippen aufeinander und nickt. »Mit dir war Sex eben Sex und keine Auftaktveranstaltung für weibliche Lebensträume. Du hast bereits ein Kind – also wolltest du keins von mir. Du warst frisch geschieden – also wolltest du mich nicht heiraten. Du wohnst in einem Haus – also wolltest du keines mit mir bauen. Mit den Mädchen, die ich jetzt treffe, ist das anders.«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Mädchen um die zwanzig schon über Familienplanung nachdenken!«, wende ich ein.
Simon runzelt die Stirn. »Nein, nicht direkt. Aber irgendwie ist das bei den meisten schon im Hinterkopf. Vordergründig geht es vor allem darum, dass man ständig Zeit mit ihnen verbringen soll, um Ausschließlichkeit und so was.«
Ich denke an die vielen Male, die Simon auf sein Fahrrad gestiegen und aus meinem Alltag geradelt ist. Daran, dass er sich manchmal tagelang nicht gemeldet hat. Mir hat das auch weh getan, und ich kann mir vorstellen, dass es für ein junges, verliebtes Mädchen die Hölle ist. Wie hat Lilli immer gelitten, wenn David keine Zeit für sie hatte! Doch mir ist auch klar, dass hinter Simons Aufregung noch mehr steckt.
»Sag mal, bist du verliebt?«
Simon sieht mich verblüfft an – wie ertappt. Also liege ich mit meiner Vermutung richtig. Irgendeine Frau setzt Simon die Pistole auf die Brust. Oder zumindest spürt er die Pistole.
»Also?«
Simon wird rot und grinst verlegen. »Erwischt. Sie heißt Denise und ist Krankenschwester.«
»Und?«
»Sie ist anders als die Mädchen hier. Und auch sonst.«
»Das macht dir Angst?«
»Zähneklappernde Angst! Und gleichzeitig habe ich das Gefühl, ohne sie zu sterben.«
Und deswegen fliehst du vor ihr und versuchst den Teufel mit einem aufgewärmten erotischen Abenteuer mit deiner Ex auszutreiben? So ist das wohl. Die Ängste, die Zweifel, die Irrtümer, Versuche, Bauchlandungen und Ekstasen – jeder muss da durch. Und es schmerzt mal mehr, mal weniger. Ich begreife das vielleicht ziemlich spät.
Laut sage ich: »Ohne
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