Kleine Schiffe
Lilli gegen rote Beete) geplagt waren und sich die wachsenden Babys zwischen unseren Organen so viel Platz schufen, dass zumindest ich manchmal glaubte, mein Magen hätte keinen Raum mehr in meinem Körper. Aber das ist jetzt vorbei. Beide Babys haben sich schon vor einiger Zeit vorbildlich in Startposition gesenkt, und wir warten täglich darauf, dass »es« losgeht. Sogar einige anfänglich mit Schrecken notierte Senkwehen haben wir schon erlebt. Erst Lilli, dann ich. Natürlich sind wir beide gespannt, wer von uns als Erste dran ist. Auf jeden Fall haben wir uns in der Weihnachtsnacht bei Yogi-Tee, Zimtsternen und Kerzenschein am Kaminfeuer versprochen, dass wir uns gegenseitig durch die Geburt begleiten werden.
David hat nämlich von vornherein klargemacht, dass er das nicht aushalten kann. »Nee, sorry, Kleines. Blut und so, da wird mir übel. Und bei mir liegen die Nerven doch eh schon blank.« Schließlich schreibt er im Februar seine Abiturklausuren.
Lilli hat geschluckt und einen Nachmittag lang Elvis’ »Big Love, Big Heartache« gehört: in voller Lautstärke. Dass David sie noch nie mit zu sich nach Hause genommen hat, erschwert die Situation zusätzlich, obwohl sie sehr darauf bedacht ist, sich nichts anmerken zu lassen.
»Weißt du, David hatte schon so viel Stress mit seinen Eltern«, sagt sie abgeklärt. »Und ich bin wohl kaum eine Traumschwiegertochter. Ich kann ihn verstehen, schließlich bin ich ja keine Spießerin. Ist mir doch egal, ob die mich kennen oder nicht.« Der letzte Satz klingt wohl selbst für ihre eigenen Ohren unglaubwürdig – deswegen grinst sie mich frech an und zupft an ihrem grellgrünen, eng anliegenden Oberteil herum, unter dem man den vorgewölbten Nabel auf ihrer Schwangerschaftskugel erkennen kann. »David hat vielleicht nur Schiss, dass sein Alter mich sexy finden könnte. Das meint Davids bester Freund Oliver auch.«
Ich sehe in Lillis verletzte Kinderaugen und denke mir, dass Davids Eltern einen wunderbaren Menschen verpassen. Allerdings haben sie davon wahrscheinlich gar keine Ahnung, weil David zu Hause bestimmt nichts erzählt und seine Eltern von Lillis Existenz nichts wissen.
Also werde ich bei Lillis Entbindung dabei sein – und sie bei meiner. Dass David sie nicht begleiten will, verletzt Lilli auch noch aus einem weiteren Grund. Traurig schaut sie mich an. »Schatz, du bist zwar ein großartiger Mensch, aber eben kein Mann. Für Elvis wäre es doch sehr wichtig, auf der Welt sowohl von einer Frau als auch von einem Mann begrüßt zu werden. Männer haben so etwas … Beruhigendes. Außerdem: Ein Kind braucht doch einen Vater.« Ob sie sich gar nicht klarmacht, wie sehr mich dieser Satz trifft? Aber ich weiß, dass Lilli nicht vorsätzlich verletzend ist. Höchstens gedankenlos. Und wenn es um Elvis geht, hat sie einfach den Tunnelblick. Dennoch bedrücken mich ihre Worte. Denn ich habe Andreas immer noch nichts gesagt und ihm zu Weihnachten nur eine lapidare Karte (keine von meinen selbstgebastelten!) mit unverbindlichen Grüßen geschickt.
Ständig muss ich die Frage nach dem Vater meines Babys mit einem »Ich werde alleinerziehend sein« beantworten. Das ist manchmal schwerer und manchmal leichter – wie zum Beispiel im Gospelchor, wo es keinen interessiert, wie ich lebe. Da singen Frauen und Männer, Mütter und Nicht-Mütter – die nehmen mich einfach so, wie ich bin. Mit oder ohne Kindsvater. Die Proben finden im Musikzimmer der Apostelkirche statt. Dort ist übrigens der Bruder von Handwerkerin Sophie Pastor. Markus Brenner. Und da heißt es immer, die Menschen lebten in der Großstadt isoliert. Ich habe eher das Gefühl, Hamburg – und Eimsbüttel insbesondere – ist ein Dorf, in dem man irgendwann fast jeden kennt. Im Wohnzimmer wird schon wieder »Ein kleiner Matrose« intoniert.
Ich schalte den Quirl ein und beginne die Sahne zu schlagen. Dabei erlaube ich mir einen Gedanken, den ich über die Feiertage erfolgreich verdrängt habe. Wie wohl Andreas Weihnachten und Silvester verbracht hat? Nicht einmal auf meine Karte hat er sich gemeldet. Ich schütte etwas Zucker in die Sahne. Andererseits: Wir sind geschieden. Nur sentimentale Tröpfe schreiben noch Karten. Sentimentale Tröpfe mit schlechtem Gewissen.
Ohne Voranmeldung durchzuckt etwas meinen Körper. Es schwappt aus mir hinaus, und im ersten peinlichen Moment denke ich erschrocken, dass ich in die Hose gemacht oder überraschend Durchfall bekommen habe.
Ich umklammere den Quirl,
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