Kleine Schiffe
und da kommt auch schon der nächste Schwall. Meine Fruchtblase ist geplatzt! Ich stehe in einer Pfütze, schalte erst einmal den Quirl ab und weiß nicht, was ich als Nächstes tun soll.
In diesem Moment taucht Tina in der Tür auf. »Warum dauert das so lange?« Ihr munterer Gesichtsausdruck verschwindet, als sie mich sieht. »Franzi, was ist los?«
Ich zeige auf das Fruchtwasser, meine patschnassen Hosen und sage kläglich: »Ich glaube, mein Baby kommt.«
Tina wird bleich. »Jetzt gleich? Du meinst, noch vor dem Kaffeetrinken?« Typisch, Tina! Obwohl mir gerade nicht unbedingt zum Lachen ist, kann ich ein Lächeln nicht unterdrücken. »Ja, tatsächlich, vor dem Kaffeetrinken. Aber wenn es dir danach besser passt, spreche ich noch einmal mit Willy.« Tina wuselt hektisch um mich herum. »Ist das nicht der Zeitpunkt, an dem man Handtücher und heißes Wasser vorbereiten sollte? Und du musst atmen. Oder etwa hecheln?« Sie ringt die Hände. »Warum hab ich bloß im Kino nicht besser aufgepasst? Franzi! Was sollen wir denn jetzt machen?«
»Ich muss ins Krankenhaus.«
Tina starrt mich entsetzt an und murmelt noch einmal: »Ausgerechnet jetzt. Vor dem Kaffeetrinken.«
»Bitte sag Lilli Bescheid. Sie weiß, wo meine Sachen sind.«
Tina reißt sich aus ihrer Schockstarre und flitzt ins Wohnzimmer, wo ihr Alarmruf einen mittleren Tumult auslöst. Wenig später stehen alle um mich herum. Mein Vater hält mit blassem Gesicht einen Sicherheitsabstand, während Lilli beruhigend meine Hand streichelt und die Unvermeidlichen unsichere Blicke tauschen.
Ich sehe Tina an. »Fährst du mich?«
»In die Klinik?« Sie stakst wie ein Storch über den feuchten Küchenfußboden.
Rudi und Helmut lachen meckernd. »Der war gut!«, ächzt Rudi. Und Helmut äfft Tina nach: »In die Klinik?« Er zeigt Tina einen Vogel. »Sie müssen schon entschuldigen, aber wohin denn sonst? Glauben Sie, dass Franziska ins Spaßbad fahren will?«
Mein Vater geht dazwischen. »Jetzt hört mal auf, Jungs!« Dann sieht er Tina aufmunternd an. »Also, fährst du sie?«
Tina schluckt erst und nickt dann. Sie scheint froh zu sein, endlich die Küche verlassen zu können, und stürzt mit den Worten »Ich hol den Wagen« aus der Tür.
Während ich mich an die Spüle klammere, behält Lilli die Übersicht. Sie ruft bei meiner Hebamme an, die die Klinik verständigen wird, holt meinen Klinikkoffer aus dem Schlafzimmer und hat auch für Rudi und Helmut eine Aufgabe. »Hört mal, ihr zwei, wir fahren jetzt mit Franzi ins Krankenhaus. Und ihr macht hier einfach ein bisschen sauber, okay? Wischlappen und Schrubber sind dahinten im Schrank.«
Rudi und Helmut sind viel zu verblüfft, um zu reagieren. Mein Vater streift Lilli mit einem anerkennenden Blick. Lilli nimmt meinen Arm. »Auf geht’s, Franzi!«
Mein Vater eilt voran. Er nimmt meinen Mantel vom Garderobenhaken, öffnet die Tür – und prallt erschrocken zurück. Denn in der Dämmerung des Winternachmittags steht ein Mann. Über die Schulter meines Vaters erkenne ich Simon. Was will er hier? Und ausgerechnet jetzt?
»Wer sind Sie?«, fährt mein Vater ihn barsch an. Simon lässt den Finger sinken, den er gerade auf den Klingelknopf legen wollte.
Er stammelt: »Ich bin … Ich wollte …«
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit«, unterbricht mein Vater ihn entschlossen. »Wir bekommen ein Kind!«
Ich lächele Simon gequält an. Es ist mir unangenehm, dass er mich in dieser Situation sieht, obwohl die nasse Hose unter meinem Mantel verborgen ist. Ich fühle mich hilflos.
Simon wirkt verlegen. Er tritt zur Seite und lässt uns passieren. »Viel Glück!«, höre ich ihn sagen, als ich an ihm vorbeigeschoben werde.
»Danke!«
Lilli und Papa führen mich über den Hof zur Straße, wo Tinas Wagen mit laufendem Motor wartet. Langsam lasse ich mich auf den Beifahrersitz sinken, während die anderen einsteigen.
»Alle drin?« Die hinteren Wagentüren schnappen ins Schloss, Tina legt den ersten Gang ein und braust los. Hinter dem Lenkrad hat sie ihre Sicherheit wiedergefunden. Schließlich haben wir das Szenario immer wieder besprochen. Tina kennt den Weg zur Klinik im Schlaf – wir wissen, dass er selbst zur Hauptverkehrszeit nicht länger als maximal eine Viertelstunde dauert. Wir scheinen durch die Straßen zu fliegen. Kaum sitze ich, wühlt sich unvermittelt ein tiefer Schmerz in meinem Körper von unten nach oben, presst sich wie eine große Faust in meinen Unterleib, so dass ich mich
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