Kleine Schiffe
unwillkürlich nach vorn beuge. Das also ist eine Wehe! Ich bin völlig überwältigt von der Dimension des Schmerzes.
Tina wirft mir einen erschrockenen Blick zu. »Franzi?« Ich tauche aus der Wehe auf wie aus einem See, in dem Schmerzen das Wasser sind. Keuchend sinke ich in den Sitz zurück. Ich habe das Gefühl, dass Tina und ich wie im Cockpit einer Rakete durch die Dunkelheit zischen. Von den anderen bekomme ich gar nichts mehr mit. Im Auto herrscht angespanntes Schweigen. Nur Lilli hört man ab und an sagen: »Hey, Franzi, alles wird gut.«
Am Tor zur Klinik zeigt Tina hektisch auf mich und schreit durch das Fenster das Zauberwort »Entbindung!«, und schon halten wir vor dem Eingang der Entbindungsstation, wo mich Nina bereits erwartet.
Als ich mich aus dem Wagen hinauswälze, erlebe ich eine Überraschung: Nicht etwa mein Vater oder Lilli helfen mir dabei – nein, es ist Simons große, warme Hand, die mich beim Aussteigen stützt.
»Simon?«
Er lächelt mich liebevoll an. »Ich weiß auch nicht, wieso. Ich bin einfach mit eingestiegen!«
Mein Vater schüttelt den Kopf. »Ich wollte ja nichts sagen, aber was soll das? Was wollen Sie hier?«
Lilli antwortet ihm, und auch Simon sagt etwas, aber ich verstehe ihre Worte nicht mehr, denn schon wieder wühlt sich der Schmerz durch meinen Körper und lässt mich zusammenklappen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, als hätte ich ein Stahlrohr im Rückgrat – mein Rücken ist völlig steif, während es in meinem Bauch so stark krampft, wie ich es von den schlimmsten Regelschmerzen kenne. Ich merke, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann, gleich müssen meine Knie wegknicken! Wieder bin ich völlig überwältigt von der Intensität des Schmerzes, der mich zusammendrückt, als würde ich in einer Schrottpresse stecken.
Als der Schmerz abebbt, will ich Lilli unbedingt mitteilen, dass echte Wehen den Senkwehen ungefähr so sehr ähneln wie ein in der Küchenschublade geklemmter Finger einer mit der Heckenschere abgesäbelten Hand. Ich sehe mich nach Lilli um, kann sie aber nicht entdecken. Trotzdem sage ich: »Kein Vergleich zu Senkwehen!«
Es gelingt mir, mich langsam wieder aufzurichten – gerade weit genug, um mitzubekommen, dass mein Vater bei dem Wort »Senkwehen« erbleicht, schwankt und einer Krankenschwester in die Arme sinkt.
Sie ruft: »Doktor Schilling? Wir haben hier einen Notfall.«
Während sich zwei Schwestern und ein junger Arzt um meinen Vater kümmern, der leise ächzend wieder zu sich kommt, zeigt Nina auf Tina, die erschrocken einen Schritt zurücktritt. »Sie sind …«
»Ich bin Christina, Franziskas beste Freundin.«
Nina lächelt mir zu. »Wunderbar! Franziska, bist du damit einverstanden, dass Tina deine Geburtspartnerin wird?«
Ich sehe mich abermals suchend um. »Aber das sollte doch Lilli …«
Die Hebamme schüttelt den Kopf. »Lilli ist anderweitig beschäftigt.« Ihr Grinsen wird noch breiter. »Wenn du dich nicht beeilst, wird Lilli noch vor dir Mutter!«
Ich habe keine Zeit mehr, diese Information zu kommentieren, denn die nächste Wehe reißt mich fast von den Füßen.
Dann liege ich im Geburtszimmer, und Tina, Nina und ich bekommen mein Kind.
»Tina, Nina und Franzi! Wenn das nicht nach einem Erfolgsteam klingt«, behauptet Nina.
»Für mich klingt das eher wie jodelnde Drillinge«, widerspricht Tina und zieht eine Grimasse. Sie ist bestimmt aufgeregter als ich, wirft aber ihre gesamte Physiotherapeutinnen-Souveränität in die Waagschale und bewahrt tapfer die Ruhe.
Obwohl ich zwischendurch mehr als einmal jammere, dass es nun endlich aufhören soll und dass ich eigentlich gar nicht schwanger werden wollte, mache ich meine Sache sehr gut – zumindest laut Nina und Dr.Fohringer, der inzwischen ebenfalls in der Klinik eingetroffen ist. Ihm ist ein gewisser Stolz auf seine »alte Erstgebärende« deutlich anzusehen. Er plaudert mit Tina, die ihre Augen dankbar von meinem verschwitzten, verzerrten Gesicht abwendet und auf seine gepflegten, graumelierten Schläfen heftet. Fohringer erklärt ihr, dass es heutzutage für eine gesunde Frau wirklich kein Problem ist, jenseits der vierzig ein Kind zu bekommen.
»Geben Sie sich keine Mühe, Herr Doktor«, quetsche ich zwischen zwei Wehen hervor. »Tina hasst Mütter!«
Tinas Griff um meine schweißnasse Hand verstärkt sich. »Herzchen, so kannst du das nicht sagen!« Sie schenkt Fohringer ein hinreißendes Lachen, das dieser jedoch gar nicht richtig
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