Kleine Schiffe
Ich bin sicher. Ich bin neu und heil.
Als er in den frühen Morgenstunden geht, bin ich hellwach und todmüde gleichzeitig – und auf der Haut spüre ich eine Sehnsucht, die sich anfühlt wie Hunger. Ich bin glücklich.
Drei Tage lang trägt mich dieses Glück. Aber am vierten Tag nach jener denkwürdigen Nacht bröckelt meine Zuversicht zusehends, denn Simon meldet sich nicht. Seine letzten Worte waren ein hastig in meine Haare gemurmelter Gruß zwischen zwei Küssen: »Ein Lehrgang! Bis bald, Franzi!« Dann war er fort.
Als ich Tina von meiner Nacht mit Simon erzählte, warnte sie mich sofort: »Pass bloß auf! Dem bist du vielleicht nicht gewachsen. Junge Männer können sehr verletzend sein!«
Woher sie diese Erkenntnis wohl hat? Aber auch auf mein Nachfragen ist nichts aus ihr herauszubekommen. Vielleicht liegt es auch an dem missglückten Flirtversuch mit Daniels Bruder im Kochkurs. »Ein ich-bezogenes Arschloch«, lautet ihr drastisches Resümee. Mir rät sie bissig: »Statt dich mit jungen Männern unglücklich zu machen, solltest du lieber einkaufen gehen! Tu dir was Gutes – ohne deine Seele zerfetzen zu lassen!«
Als ob das so leicht wäre. Schließlich ist ein One-Night-Stand etwas anderes als ein missglückter Flirt. Ich habe mit Simon geschlafen. Ich habe mich ihm … hingegeben. Ich fühle mich verletzt und missbraucht. Nachdem ich eine Woche lang nichts von ihm gehört habe, steigere ich mich regelrecht in Wut auf ihn hinein. Was hat er sich eigentlich dabei gedacht? Ich war wohl ein leichtes Opfer für eine schnelle Nummer, denke ich. Eine bedürftige »Alte«, Sex auf die Schnelle. Dann wieder weiß ich, dass Simon nicht so ist. Simon ist zärtlich, ehrlich – ich habe ihm Amélie anvertraut. Mit Lilli mag ich dieses Thema nicht näher besprechen. Sie schaut mich zwar aus ihren Emailleaugen wissend an, aber mir ist zum ersten Mal nicht nach Lillis Lebensweisheiten zumute. Ich kann mir denken, was sie sagen würde: »Mach dir keinen Kopf. Der kommt schon wieder.« Und dann würde sie mir wahrscheinlich »Love me Tender« als Seelentröster anbieten. Dennoch recherchiert sie, wo Simon ist, kann aber nichts herausbekommen. »Ich weiß auch nicht, wo der ist. Bei ihm läuft nur der AB. Und du darfst sowieso nicht anrufen.«
»Wieso nicht?«
»Weil eine Frau niemals bei einem Kerl als Erste anrufen darf. Mensch, Franzi, das ist ein Naturgesetz. Die Männer sind die Jäger. Wir werden gesammelt.«
Ich finde das zwar nicht sehr emanzipiert, aber ich halte mich daran – schließlich kann ich doch nicht einem zwanzig Jahre jüngeren Mann hinterherlaufen. Ich schleppe mich in einer Mischung aus Euphorie, Weltschmerz und Wut durch die Tage. Der Sex mit Simon hat mich aufgeweckt und mit neuem Leben erfüllt, mich auf einen Höhenflug entführt – von dem ich mit einem heftigen Bauchklatscher abgestürzt bin. Aber die Zeit heilt selbst Bauchklatschernarben. Zwei Wochen nach meiner Nacht mit Simon wache ich morgens zum ersten Mal wieder gut gelaunt auf. Unter der Dusche beschließe ich, das Trübsalblasen sofort einzustellen. Ich schmuse mit Amélie und denke an den Abend, als Simon auf sie aufgepasst hat. Wie in Abrahams Schoß hatte ich damals gedacht. Nein, Simon ist kein kaltherziger Weiberheld, der alles mitnimmt, was sich ihm bietet. Ich entdecke eine ungeahnte Großzügigkeit in mir und frage mich nicht mehr ängstlich, ob es ihm vielleicht nicht gefallen hat. Nein, an diesem Morgen verzeihe ich ihm und erlaube mir sogar den Gedanken, dass es einen guten Grund für sein Verschwinden gibt. Vielleicht erfahre ich ja irgendwann, warum er sich nicht mehr meldet. Ich stehe in ein Handtuch gewickelt vor dem Kleiderschrank und krame nach Unterwäsche. Und während ich so zwischen Unterhemden und Socken wühle, fällt mir ein Ziel für einen Shopping-Ausflug ein. Nämlich ein kleiner Laden, den Lilli und ich in den Colonaden bei unserem letzten Sonntagnachmittagsspaziergang (statt Kaffeeklatsch) entdeckt haben. Der Laden heißt »Die Perle«, und man kann dort Wäsche kaufen. Genauer: Dessous. Seit Jahren kaufe ich ausschließlich eine Traditionsmarke – weißer BH, weißer Slip, weißes Unterhemd, fertig. Weiße Wäsche ist zeitlos, gepflegt, vernünftig. Doch seit der Nacht mit Simon glühe ich innerlich, als wäre eine Lampe in mir angezündet worden. Allerdings hat sich der Hunger, den ich nach der Nacht mit ihm verspürt habe, zwischenzeitlich in Angst verwandelt. Und die liegt mit meiner neu
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