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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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ich habe ihn nicht gefunden. Und meine Mutter …« Sie beißt sich nachdenklich auf die Unterlippe. »Ich habe ihr von Lisa-Marie geschrieben.«
    »Na, da hat sie sich aber gefreut, nicht wahr?«, sagt mein Vater. Seine Stimme ist betont fröhlich – ihm ist die Situation unangenehm. Immer wieder verschwindet sein Kinn im Rollkragen. Ein müdes Lächeln huscht über Lillis Gesicht. Sie schüttelt den Kopf. »Ich glaube, meine Mutter ist nicht der Typ Mensch, der sich freut.«
    Ich schiebe die Schüssel mit dem Gemüse in Papas Richtung. »Sie hat sich überhaupt noch nicht bei dir gemeldet?«
    »Nein.«
    Mein Vater und ich schauen uns bestürzt an. Als ich aufstehe, um die Gemüseschalen in den Mülleimer zu werfen, richte ich es so ein, dass ich Lilli über die Schulter streicheln kann. Papa hebt Lisa-Marie hoch, setzt sie Lilli auf den Schoß und fährt ihr kurz über die Haare .
    Lilli versteht, dass wir trösten wollen, ohne großes Aufheben zu machen. Sie lächelt uns an. »Aber jetzt habe ich ja euch.«
    Der Kopf meines Vaters wächst wieder aus dem Rollkragen. Später versammeln wir uns um den Tisch in der Küche: Papa, der es offensichtlich genießt, den Küchenchef zu spielen, die Unvermeidlichen, die stolz die Bio-Würstchen präsentieren und auch frische Semmeln mitgebracht haben, die Kinder in ihren Hochstühlen, und Lilli und ich – keine Familie aus einer Hochglanzbroschüre, sondern etwas seltsam und durcheinander, aber dennoch eindeutig eine Familie.
    Während der Mittagsruhe – einer der Segnungen eines geregelten Familienalltags –, als die Kinder endlich schlafen, Papa und die Unvermeidlichen zum Schachspielen in den Club wandern und Lilli sich einen Moment lang hinlegt, versuche ich abermals Simon anzurufen. Aber er bleibt unerreichbar.

    Eines der lieb gewordenen Rituale, die wir wieder aufgenommen haben, ist der Wochenendkaffeeklatsch mit Tina.
    Doch vorher fließen erneut Tränen. Als ich die Tür mit Amélie auf dem Arm öffne, wirft sich eine dunkle Gestalt mit lautem »Buh!« auf uns und streckt grünglibberige Pfoten nach mir aus. Ich kreische auf und weiche zurück. Amélie ist genauso erschrocken – nur ihr Heulen ist viel lauter. Verärgert und erleichtert zugleich erkenne ich hinter den Monsterkrallen und dem Hexenhut Tina.
    Ich versuche Amélie zu beruhigen. »Das ist doch Tante Tina!« Wir haben uns für den Namen »Tante Tina« entschieden, weil Tina mir einleuchtend erklärte, dass sie immer schon Tante werden wollte, und außerdem findet, Kinder hätten viel zu wenige Tanten und viel zu viele Freunde. »Die haben doch heute häufig noch nicht einmal Mama oder Papa, sondern nur den Karsten oder die Marion«, hatte sie gezetert.
    Zerknirscht betrachtet sie jetzt das weinende Kind und zieht die Gummipfoten von ihren Händen. Aber erst als sie auch den Hut mit dem schwarzen Schleier abgelegt hat, lässt sich Amélie beruhigen.
    »Was soll der Aufzug?«, frage ich, während sich Tina mit großen Papiertüten an mir vorbeidrückt. Sie wirft ihren Mantel über die Garderobe und schüttet dann die Tüten über dem Küchentisch aus: Kürbismasken, Kerzen, Gummibärchen in Teufelsform, Konfetti und schwarz-orange-farbene Luftschlangen.
    »Na, heute ist doch Halloween!«
    Lilli und ich starren uns verblüfft an. Das haben wir völlig vergessen, denn unsere Kinder sind noch viel zu klein, um bei »Süßes oder Saures« mitzumachen. Selbst für den Laternenumzug der Kirchengemeinde, der hier im Oktober stattfindet, war es eigentlich noch zu früh. Amélie und Lisa-Marie saßen mit großen Augen in der Zwillingskarre, die wir durch den Matsch um den See im Park schoben, und beäugten erstaunt die vielen Lichter. Neben Lilli lief ein ungefähr vierjähriger Junge, der die gesamte Zeit über auf einem Ton »Laterne, Laterne« sang. Sein komplettes Repertoire bestand aus diesem einen Wort, gesungen auf einem Ton.
    Nach einer Umrundung des Sees raunte Lilli mir zu: »Wenn wir hier nicht abbiegen, muss ich dieses Kind erwürgen!« Glücklicherweise war das nicht nötig, weil der Vater des Sängers auftauchte, ihn auf seine Schultern hob und mit großen Schritten an die Spitze des Laternenzuges trug, wo ein Musikzug mit Klingelspiel, Querflöten und Posaunen »Laterne, Laterne! Sonne, Mond und Sterne!« anstimmte.
    Gefasst akzeptiert Tina unsere Einschätzung, dass sie mit dem Halloween-Feiern in diesem Jahr zu früh dran ist. »Dann nehme ich das Zeug wieder mit. Ich bin zur Halloween-Party bei

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