Kleine Sünden erhalten die Liebe

und wir gingen zu Fuß weiter.
    »Ich verstehe es nicht«, seufzte Diesel. »Die Joy Street ist eine Straße wie jede andere in diesem Wohngebiet. Teure Immobilien. Reiche Anwohner. Typisch Beacon Hill. Ich hatte gehofft, hier irgendetwas zu entdecken, was sich auf das Wort ›selbstlos‹ in dem Rätsel beziehen könnte. Eine Kirche vielleicht …«
    Ich hatte mir den Spruch auf einer Karteikarte notiert. »Wer selbstlose Gedanken hegt, dessen Wort und Werk ist der FREUDE gewiss. Sie folgt ihm wie ein Schatten, der ihn niemals verlässt«, las ich vor.
    Es war später Nachmittag, und die Sonne stand bereits tief am Himmel. Bei unserer Ankunft hatte die Joy Street im Sonnenlicht gelegen, und nun standen wir im Schatten.
    »Hier ist Schatten«, bemerkte ich. »Die Sonne geht unter, und die Joy Street liegt im Schatten. Könnte das damit gemeint sein?«
    »Vielleicht, aber das bringt uns nicht weiter. Der Schatten kommt hauptsächlich vom State House. Und die Schatten wandern. Die Sonne bewegt sich am Himmel, und die Schatten bewegen sich mit ihr. Die Spitze der Kuppel wird mindestens auf ein Dutzend Häuser zeigen, wenn die Sonne untergeht.«
    »Wenn sich der Schatten im zweiten Teil des Hinweises auf das State House bezieht, sind im ersten Teil vielleicht die Leute dort drin gemeint. Wer selbstlose Gedanken hegt, dessen Wort und Werk ist der FREUDE gewiss. «
    »Das ist ziemlich weit hergeholt«, gab Diesel zu bedenken.
    Ich packte ihn an der Hand und zog ihn hinter mir her. »Komm schon. Wir schauen uns im State House um.«
    »Woher kommt dein plötzlicher Enthusiasmus, die Welt retten zu wollen?«
    »Ich bin hochmotiviert. Man will mich umbringen. Wenn ich diesen blöden Stein finde, kann ich endlich mein Leben weiterleben.«
    »Also geht es dir nicht um die Welt … Es geht dir nur um dich?«
    »Ja. Die Welt ist mir piepegal. Und ich trenne auch nicht immer meinen Müll. Manchmal werfe ich Joghurtbecher in den Hausmüll.«
    »Wie schockierend«, meinte Diesel.
    Sein Handy klingelte, und er starrte auf seinen Schuh, während er lauschte. Dann schüttelte er leicht den Kopf, als könne er nicht fassen, was er hörte. Oder vielleicht wollte er einfach nicht hören, was ihm da jemand erzählte.
    »Ich kümmere mich darum«, sagte Diesel schließlich und legte auf.
    »Und?«, fragte ich.
    »Sandman ist wieder weggelaufen.«
    Wir befanden uns gegenüber vom Boston Common, und Diesel schaute zu dem Park hinüber.
    »Lass uns einen Spaziergang machen«, schlug er vor.
    »Willst du nach Sandman suchen?«
    »Ja.«
    »Und was ist mit der Rettung der Welt?«
    »Das wird nicht lange dauern.«
    Wir überquerten die Straße und bogen in den Fußweg zum Frog Pond ein. Wenn es kalt wird, dient das Wasserbecken als Eislauffläche. Im Sommer wird daraus ein Planschbecken. Im Augenblick befanden wir uns zwischen den Jahreszeiten, und der Frog Pond war geschlossen. Wir gingen weiter zum Konzertpavillon und entdeckten dort Sandman, der auf den Stufen die letzten Sonnenstrahlen des Tages genoss.
    »Hey, Morty«, sprach Diesel ihn an. »Wie läuft’s?«
    »Nicht schlecht«, erwiderte Morty. »Ich genieße mein Leben.«
    »Wir würden uns alle besser fühlen, wenn du das im Haus deines Sohns tun würdest.«
    »Mein Sohn ist ein Waschlappen.«
    »Wir wollen uns das State House ansehen. Kommst du mit?«
    »Habt ihr wieder eine Gaunerei vor?«
    »Ja.«
    »Was ist mit meinem Wurstbrötchen? Werde ich rechtzeitig zurück sein, wenn der Imbisswagen kommt?«
    »Ich werde dafür sorgen, dass du ein Wurstbrötchen bekommst.«
    »Okay! Ich bin dabei.«
    Wir gingen durch den Park zurück, marschierten die Beacon Street entlang und kletterten dann etwa eine Million Stufen zum State House hinauf. Schilder wiesen uns zum Besuchereingang auf der rechten Seite des Haupteingangs. Die Tür war abgeschlossen. Niemand in Sicht. Sonntags war das State House für Besucher nicht geöffnet.
    »Kein Problem«, meinte Diesel.
    Er fuhr mit der Hand über die Tür, die Schlösser drehten sich, und er zog die Tür auf.
    »Das ist das State House«, protestierte ich. »Du kannst hier nicht einfach einbrechen!«
    »Ich breche nicht ein«, entgegnete Diesel. »Die Tür ist unverschlossen.«
    »Oh, Mann«, stieß Morty hervor. »Das ist gut. Es geht doch nichts über einen kleinen Einbruchsdiebstahl. Das bringt das Blut in Wallung.«
    Wir betraten das Gebäude und schauten uns um. Leer.
    »Irgendetwas geht hier vor sich«, stellte Diesel fest. »Ich höre, dass sich