Kleine Suenden zum Dessert
Gillian - und Nick und Charlie, die sich gerade bei einem der Imbisswagen anstellten. Gavin war nirgends zu sehen, doch Neil und Jamie lagen ausgestreckt im Gras und genossen die Sonne und ihre Chips. Ein Stück weiter unten hatten Martine, Amanda und die übrigen Anti-Atomkraft-Aktivisten fast den Aufbau ihres Lagers beendet: Auf Zelten, Transparenten und Fahnen leuchtete in Signalrot das Wort MOX.
Als sie Ewan in der Menge suchte, konnte sie ihn nicht finden.
Stattdessen stach ihr ein rotes T-Shirt ins Auge. Grace wusste schon, bevor sie den Slogan las, dass er es war. Adam. Sie hatte völlig vergessen, dass sie eigentlich auf der Suche nach ihm war.
Es ging nicht anders - sie würde ihm die Wahrheit sagen müssen. Kummervoll fragte sie sich, wie sie ihm schonend beibringen könnte, dass sie nicht bereit war, in einem fremden Land mit ihm in einer Hütte am Strand zu leben, ohne Einkommen, sich von dem zu ernähren, was die Natur ihnen bot, und ihre Kinder sich selbst zu überlassen. Es war unmöglich, das schonend zu formulieren. Doch sie war es ihm schuldig, ihn möglichst schnell über ihre neue Einsicht zu informieren. Das gebot die Fairness.
»Adam! Adam!«, schrie sie und winkte so heftig, dass sie beinahe den Halt verloren hätte. Er schaute sich suchend um. »Adam! Hier oben!«
Er entdeckte sie, und sein Ausdruck wandelte sich zu Ungläubigkeit. Vielleicht dachte er, sie sei ausgeflippt. Vielleicht kam er ja zu dem Schluss, dass sie doch nicht die Richtige für ihn wäre und er sich augenblicklich auf die Suche nach einer passenderen Partnerin für das Leben in der Hütte am Strand machen sollte.
Aber er hatte sich bereits gefasst und rief: »Grace! Du bist hier!« Und dazu lächelte er so strahlend und glücklich, dass ihre Hoffnung schwand. Also bliebe es ihr nicht erspart, ihm zu eröffnen, dass es aus war. Er begann sich den Weg durch die Menge zu bahnen, wie es Liebende oft in Filmen tun, und sie müsste laut Drehbuch vor Seligkeit vergehen hatte sie sich nicht genau danach gesehnt? Jetzt fehlte nur noch die obligatorische, musikalische Untermalung, und der Traum wäre perfekt.
Doch sie träumte solche Träume nicht mehr. Sie träumte neue Träume, in denen Clarice Starling nicht mehr vorkam, in denen sie keine zierliche Damenpistole in der Handtasche bei sich trug oder Videofilme mit Titeln wie Rita reitet wieder machte. Auch Adam kam darin nicht vor. Sie atmete tief durch und wagte sich an den Abstieg.
17
Mein Gott, Michael - hast du das schon gesehen? Da liegt ein Kuhfladen!«
»Fass dich - da drüben liegt noch einer.«
»Meinst du, die Kühe sind ... sind hier in der Nähe?«, fragte Gillian mit zittriger Stimme.
»Ich sehe keine, aber selbst wenn, würden sie dir nichts tun. Sie wären froh, wenn du ihnen nichts tust.«
»Aber sie können TB übertragen. Ich hatte gerade erst ein Geschwür im Mund - mein Immunsystem ist bestimmt geschwächt.«
Julia verdrehte die Augen.
Michael und seine Frau kämpften mit einem riesigen, rot gestreiften Zelt, das wie ein Leuchtturm aus dem Meer der kleinen, grünen emporragte, die den Hang übersäten. Zwei Festivalbesucher hatten es bereits für ein Imbisszelt gehalten und bei Gillian Burger bestellen wollen. Ein anderer hielt es wegen des nassen Flecks auf der Rückseite für eine öffentliche Toilette.
»Es wird doch hoffentlich nicht regnen.« Gillian zupfte besorgt an ihrer weißen Hose. Sie hatte sich bereits einen Grasfleck und zwei Ameisenbisse eingefangen.
»Ich glaube nicht«, sagte Julia bedauernd. Ein ordentliches Gewitter hätte die ganze Sippschaft vielleicht in die Flucht geschlagen. Allerdings hatten sie für alle Fälle Schirme und Regenkleidung dabei. Sie hatten auch sonst an alles gedacht, einschließlich eines Grills, eines umfassend bestückten Medizinkästchens und zweier Klappsessel - und die dritte Reisetasche war noch zu!
Susan kam aus dem Zelt. »Ich muss auf die Toilette.«
»Das geht nicht!«, protestierte Gillian.
»Was?«
»Es ist nur ...« Ihr Blick wanderte den Hang hinunter, an dessen Fuß aufgereiht weiße Toilettenhäuschen standen, vor denen Schlangen von jungen Leuten warteten. »Sie sind bestimmt nicht sauber.«
»Das ist mir egal. Meine Blase platzt gleich.«
»Du könntest verloren gehen!« Gillian überflog nervös die Menge. »Das müssen an die dreißigtausend Menschen sein - stimmt‘s, Julia?«
»Eher fünfzig«, antwortete sie ungerührt.
»Fünfzig!«
»Na und? Ich finde schon wieder her.«
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