Kleine Suenden zum Dessert
Kugel, die an die dreißig Jahre in dem Lauf eines rostigen Gewehrs gesteckt hatte, noch eine solche Durchschlagskraft besaß.
3
Wo hast du sie erwischt?«
»Ich war das nicht! Naja, vielleicht doch, wir wissen es noch nicht...«
»Wo?«
»Die Kugel ging in den Fuß. Ich habe die Frau in den Fuß geschossen, okay?«
»Oh, mein Gott«, stöhnte Ewan ins Telefon. Endlich war es Grace doch einmal gelungen, ihre Familie zu beeindrucken. Unglücklicherweise war der Anlass jedoch kein Grund, stolz zu sein. Die Jungen gaben keinen Pieps von sich. Sie spürte sie im Hintergrund, sah sie über Ewans Schulter gebeugt am Hörer kleben. »Wo bist du jetzt?«, fragte er.
»In der Notaufnahme. Sie haben Mrs Carr zur Untersuchung weggebracht.« Sie ging nicht ins Detail. Die Jungen hatten zwar keinerlei Probleme mit brutalen Zeichentrickfilmen im Fernsehen, aber die Realität einer blutenden Zehe, die nur noch an einem Hautfetzen hing, wäre vielleicht doch zu viel für sie. Allerdings war es nur die kleine Zehe, wie Frank, der helfen wollte, betonte: Sie würde sie kaum vermissen.
»Ist sie okay?«, wollte Ewan wissen.
»Nein, sie ist nicht okay! Wärst du okay, wenn man dich angeschossen hätte?«
Mehrere Augenpaare wandten sich ihr neugierig zu. Die Leute im Warteraum hatten entweder verstauchte Knöchel oder waren mit Kleinkindern da, die irgendwelche Gegenstände verschluckt hatten. Keiner konnte mit etwas so Glamourösem aufwarten wie einer Schusswunde. War Grace vielleicht ein Gangsterliebchen? Trotz ihres haferbreifarbenen Kostüms?
Grace machte sich mit dem Handy am Ohr auf ihrem grauen Plastikstuhl so klein wie möglich. Ihr war übel, und sie zitterte, typische Symptome nach einem Unfall. Und wer hätte gedacht, dass verbranntes Fleisch so widerlich stinkt. Bei der Erinnerung daran entrang sich ihrer Kehle ein würgender Laut. »Bist du okay?«, fragte Ewan.
»Es ist nur der Schreck«, sagte sie. »Ich meine ... ich hätte sie umbringen können.«
»Unsinn, Grace.«
»Sie ist eine alte Frau, Ewan! Stell dir vor, sie hätte einen Herzinfarkt bekommen!«
»Hat sie aber nicht.«
»Es wäre aber möglich gewesen! Bei Stress kann so was durchaus passieren. Erinnere dich an Harry!« Harry Brennerman von nebenan hatte starke Schmerzen in der Brust bekommen, nachdem er im Fernsehen die Ziehung der Lottozahlen gesehen und festgestellt hatte, dass er gewonnen hatte (was schließlich gar nicht stimmte, weil er eine Neun mit einer Sechs verwechselt hatte, aber die Chirurgen meinten, er habe Glück im Unglück gehabt, denn sie hätten genügend Fett in seinen Arterien gefunden, um eine Pommesbude zu eröffnen).
»Warum kommst du nicht nach Hause?«, fragte Ewan, und sie spürte wieder, wie sie die schöne Wärme durchströmte, dieses Gefühl, wichtig zu sein. War es nicht ein Jammer, dass sie nicht weiter auf Leute schießen durfte?
»Ich kann nicht«, antwortete sie. »Ich muss vielleicht noch eine Aussage bei der Polizei machen.«
»Erklär ihnen, dass du in Urlaub fliegst.«
»Das hab ich schon getan, aber ich hatte den Eindruck, dass sie dachten, ich wolle mich dem Zugriff entziehen oder so was.«
Eine Weile hatte sie tatsächlich geglaubt, dass Sergeant Daly sie zum Krankenhaus begleiten und die ganze Zeit an ihrer Seite bleiben würde, damit sie nicht türmen könnte. Doch er war ihr nur zu Franks Haus gefolgt, nachdem der Krankenwagen abgefahren war, um sie zu fragen, ob er es sich ansehen dürfe.
»Ich soll es Ihnen zeigen?« Sie war nicht sicher, dass sie ihn richtig verstanden hatte. Der Knall des Schusses hatte sie vorübergehend taub gemacht, und sie wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, in dieser dramatischen Situation ans Geschäft zu denken. Doch sie hatte sich nicht verhört, und ihre Professionalität siegte.
»Sind Sie selbst interessiert?«, fragte sie laut, um das Rauschen in ihren Ohren zu übertönen. »Nein, nein. Mein Sohn Tom hat sich gerade verlobt... Hals über Kopf verliebt...«
»Das ist nett.« Grace schüttelte den Kopf, um das lästige Geräusch loszuwerden, aber es half nichts. »Ja. Sie haben sich in Birmingham kennen gelernt, und jetzt wollen Tom und Charlie sich in Irland niederlassen ...«
»Oh! Dann viel Glück für die beiden!« Es war die erste Schwulenhochzeit, von der sie in diesem Land hörte.
»Tom sagt, Charlie will möglichst schnell eine Familie«, endete Sergeant Daly.
»Kinder?«
»Ja. Meinen Sie, man könnte das Arbeitszimmer in ein Spielzimmer
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