Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Suenden zum Dessert

Kleine Suenden zum Dessert

Titel: Kleine Suenden zum Dessert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Dowling
Vom Netzwerk:
Die kleinste Andeutung, dass nicht alles so war, wie er es zurückgelassen hatte?
    »Ich vermisse euch auch«, antwortete Grace und fragte sich, ob sie das wirklich tat.
    »Einen Moment, Grace - das Taxi ist da.« Er legte die Hand auf die Sprechmuschel, und Grace hörte ihn gedämpft Befehle geben. »Nein - schalt den Fernseher aus! Jamie? Komm endlich aus dem Bad! Was treibst du überhaupt so lange da drin?«
    Sie hörte Geräusche, die auf das Verlassen des Zimmers und des Beginns eines neuen, abenteuerlichen Ferientages hindeuteten, und plötzlich erwachte der Wunsch in ihr, dieses alte, schmutzige Haus zu verlassen, in ein Flugzeug zu steigen, das sie ins blank geputzte Plastik-Paradies Florida bringen würde, und Speck zu essen. Sie gehörte hier nicht her. Es war nicht ihre Aufgabe, eine Pension zu führen und Wortgefechte mit einem selbstgefälligen, gerade mal dem Teenageralter entwachsenen Jungen zu führen.
    »Ich muss auflegen«, sagte Ewan. Es war keine Zeit mehr für eine Unterhaltung mit den Jungen, nur noch für ein eiliges »Ich ruf später wieder an« von Ewan, und dann war die Leitung tot.
    Ivy aus Cork weinte und erzählte wieder einmal von Leuten, die schon so lange tot waren, dass nur noch sie sich an sie erinnerte.
    »Der arme Ronald!«
    »Welcher Ronald, Mammy?«, wollte ihre Tochter wissen. Man merkte ihr deutlich an, wie nervös sie war. Sie hatte zwei Kinder mitgebracht, die am Fußende des Bettes herumturnten, und wahrscheinlich tauten in ihrem Kofferraum Tiefkühllebensmittel vor sich hin.
    »Ronald Wainwright«, schluchzte Ivy.
    »Aus Clonmel? Amy, geh da runter!«
    »Aus Waterford. Der mit dem Gestüt.«
    »O ja - der Springreiter.«
    »Nein, nein! Er war kein Springreiter. Er hat nie im Leben auf einem Pferd gesessen!« Ivy war aufgebracht. Ihre weißen Spinnenfinger zerfetzten ein Papiertaschentuch, während die Kinder auf ihren knochigen Beinen auf und ab hüpften und die Tochter sich verwirrt fragte, wer die Fremde da im Bett wohl war.
    Julia versuchte, nicht hinzuhören. Bis vor zwei Tagen hatte sie sich niemals alt gefühlt. Nicht einmal ältlich. Ihrem Empfinden nach hatte sie so um die fünfundsechzig aufgehört, älter zu werden. Das war so ein angenehmes, reifes Alter, jenseits der schwierigen Vierziger, und man hatte vor nichts und niemandem mehr Angst. Doch hier im Krankenhaus fühlte sie sich alt. Das kam von der Luft, die zu warm war und nach alten Menschen roch. Sie konnte nicht dagegen an: Es stieß sie ab, die Gebisse in den Wassergläsern auf den Nachttischen zu sehen und die rosa Beinprothese da drüben auf dem Stuhl, all die Kleinigkeiten, die erst wieder eingesetzt oder angebracht werden mussten, bevor einer dieser Patienten so einfache Dinge tun konnte wie essen oder laufen.
    Neuer Besuch traf ein. Diesmal war Elizabeth gegenüber das Opfer.
    »Was gab‘s zum Tee, Granny?«
    »Schäferpastete.«
    »Wie schön. Hattest du Joghurt oder Eis zum Nachtisch?«
    »Eis.«
    »Ahhh, herrlich! Ich liebe Eis! Was für welches?«
    »Weiß ich nicht mehr.«
    »War es Vanille? Oder vielleicht Erdbeer?«
    »Ich weiß es nicht. Es ist doch ganz egal. Warum zum Teufel interessiert dich das?«
    »Schon gut, Granny, beruhige dich.« Sie wandte sich ihrem Mann zu: »Ich hab dir doch gesagt, dass ihr Gedächtnis nachlässt.«
    Zum ersten Mal war Julia froh, dass JJ so schnell gestorben war. Seinerzeit hatte es sie tief bekümmert, denn es bot sich ihr keine Gelegenheit, von ihm Abschied zu nehmen, überhaupt noch etwas zu ihm zu sagen. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, was sie zuletzt zu ihm gesagt hatte, aber es musste etwas Triviales gewesen sein, denn sie waren gerade von einem Spaziergang im Regen zurückgekommen und nach oben gegangen, um sich umzuziehen. Als er nicht herunterkam, war sie nachsehen gegangen und hatte ihn auf dem Schlafzimmerfußboden vorgefunden. Auf dem Weg ins Krankenhaus war er in der Ambulanz zu Bewusstsein gekommen und hatte mit den Ärzten gesprochen. Sie war nicht mitgefahren, weil sie ein Köfferchen für ihn packen wollte und den Ernst der Lage nicht erkannt hatte, und Frank fuhr sie eine Stunde später in die Klinik. Inzwischen hatte JJ noch einen Schlaganfall bekommen und war gestorben.
    Was wirklich ein Segen war, wenn man bedachte, wie er hätte enden können: ans Bett gefesselt und der Familie ausgeliefert.
    Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday, dear Mammy, happy birthday to you!
    Da brachen sie über sie herein, Michael,

Weitere Kostenlose Bücher