Kleine Suenden zum Dessert
der einen Kuchen in den ausgestreckten Händen hielt, und dichtauf Gillian und Susan. Natürlich wandten sich alle im Zimmer den Neuankömmlingen zu und schnalzten ob des Spektakels wohlwollend mit der Zunge. Einige der Schwestern applaudierten. Julia hätte sich am liebsten die Decke über den Kopf gezogen. Stattdessen überwand sie sich zur Bekundung erfreuter Überraschung.
»Das hättet ihr nicht tun sollen«, sagte sie - und sie meinte es auch so.
»Eine Rede! Eine Rede!«, rief Michael aufgeregt wie ein Junge.
»Ich bin keine Rednerin«, wehrte sie mit einer Handbewegung ab.
»Dann wünsch dir was«, sagte Susan.
Julia lächelte ihr einziges Enkelkind voller Zuneigung an.
»Und was soll ich mir wünschen?«
»Einen batteriebetriebenen Roller, den alle anderen in meiner Klasse schon haben«, antwortete Susan und bedachte ihren Vater mit einem missgünstigen Blick.
»Ich hab‘s dir doch erklärt: Die sind zu teuer«, sagte er.
»Das ist doch blödes Gerede«, gab sie genervt zurück. »Du verdienst hunderttausend im Jahr.«
»Susan!«, zischte Gillian.
»Wie auch immer«, sagte Julia mit ihrer fröhlichsten Stimme. »Es geht los!« Sie beugte sich vor, um die Kerzen auf ihrem Geburtstagskuchen auszublasen (sieben rosafarbene für die Jahrzehnte und drei blaue für die Jahre). Nicht, dass sie gebrannt hätten - das wäre gegen die feuerpolizeilichen Vorschriften des Krankenhauses gewesen, erklärte Michael -, aber sie sahen sehr hübsch aus auf dem Kunstwerk mit dem weißen Zuckerguss und der rosa Schärpe. Gillian war gerade lange genug gesund geblieben, um ihn zu backen. Jetzt setzte sie sich auf das Fußende des Bettes, elegant in pfirsichfarbener Seide, und betupfte sich hin und wieder mit einem Sagrotantüchlein. »Herzlichen Glückwunsch, Julia.«
»Ich danke dir, Gillian«, erwiderte Julia ebenso förmlich. »Und euch auch, Michael und Susan. Ihr habt mir eine große Freude gemacht.«
»Du hast deine Geschenke doch noch gar nicht bekommen.« Michael ging vor die Tür und kam mit einem Arm voll Päckchen zurück. Julia schnalzte erfreut mit der Zunge, während sie Parfüm auspackte, ein Seidentuch, eine Schachtel mit sündteuren Pralinen, einen silbernen Rahmen, eine Gesichtscreme, für die eines dieser Supermodels Reklame machte, und eine wirklich schöne Goldkette.
»Das ist viel zu viel...«
Aber Michael strahlte sie nur glücklich an. »Unsinn! Du hast Geburtstag.«
Susan war immer wütender geworden. Jetzt platzte sie heraus: »Wieso kriegt sie lauter Zeug, und mir kaufst du den Roller nicht?«
Michael schaute sie verlegen an. »Es ist nicht dein Geburtstag, Susan.«
»Ich habe nicht halb so viel zu meinem Geburtstag bekommen, stimmt‘s, Mum?«
»Um Himmels willen!«, explodierte er. »Heute ist der Ehrentag deiner Großmutter! Kannst du nicht mal für fünf Minuten aufhören, nur an dich zu denken?«
Susans Unterlippe begann zu zittern. Sie sah Michael tief gekränkt an. »Ich sag ja nur, dass es nicht fair ist.«
»Das reicht jetzt«, murmelte Gillian - doch auch sie sah ihren Mann mit einem gekränkten Ausdruck an.
Julia, der Anlass für diesen Familienzwist, setzte ihr liebevollstes Granny-Lächeln auf und sagte: »Wisst ihr, ich trage kaum jemals Schmuck. Was hältst du davon, wenn ich dir die Kette leihe, Susan, für unbestimmte Zeit? Nimm dir auch die Pralinen, ich bekomme ohnehin Verstopfung davon. Wann probieren wir endlich Gillians köstlich aussehenden Kuchen?«
Susan war ein wenig besänftigt. Gillian schluckte die indirekte Maßregelung zur Feier des Tages tatsächlich wortlos. Michael, dem die Feinheiten dieses diplomatischen Verhaltens entgingen, teilte fröhlich Winnie-Pooh-Pappteller aus es waren die einzigen, die es im Supermarkt gegeben hatte, erklärte er - und Barbie-Plastikbecher, und dann servierte er Kuchen und schenkte Susan Coke und den Erwachsenen, ebenfalls den Krankenhausregeln entsprechend, alkoholfreien Wein ein.
»Auf Mammy!«, sagte er, und alle erhoben ihre Barbie-Becher, und Julia lächelte unter Gillians wachsamem Blick und dachte, dass sie JJ nie so vermisst hatte wie in diesem Augenblick. Aber das durfte sie nicht aussprechen, denn Michael, Gillian und Susan wollten es nicht hören. Nicht jetzt, nicht nach zwei Jahren, nach denen die anderen den Verlust nun wirklich verschmerzt hatten und sie ihre Umwelt nicht mehr mit ihrem Gram langweilen sollte. Also blinzelte sie ihre Tränen zurück, schob einen Bissen von Gillians trockenem,
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