Kleine Suenden zum Dessert
Tagträume hatte, dann drifteten sie sehr schnell in Richtung Pornografie ab.
Manchmal träumte sie auch gar nichts, wenn sie in ihrem Auto saß, sondern dachte an die letzte Kreditkartenabrechnung oder überlegte, wo sie die nächsten Sommerferien verbringen sollten. Dann allerdings war es an der Zeit, auszusteigen und Tee zu machen.
»Aber das ist persönlich«, erklärte sie Adam nachdrücklich, damit er nicht glaubte, er könne sie mit seinen gespielt naiven Schuljungen-Fragen übertölpeln und aus der Reserve locken. »Entschuldigen Sie mich.« Sie stand auf und ging in die Küche. Der Risotto war genau richtig. Sie bekrönte ihn mit einem Berg gehobelten Parmesan und atmete ein paarmal tief durch. Nicht, dass sie dem Burschen da drinnen nicht gewachsen wäre - sie fühlte sich durchaus als Herrin der Lage. Was sie zutiefst beunruhigte, war die Tatsache, dass sie die Situation genoss.
Trotzdem betastete sie prüfend ihre Frisur und betrat das Esszimmer mit der Schüssel in den Händen wie eine Bühne. Zweiter Akt!
Adam war nicht zu sehen. Verdammt! Grace wollte sich gerade auf die Suche nach ihm machen, als sie ihn in einer Ecke kauern und an einem alten Plattenspieler herumfummeln sah. Sie hatte den Apparat bisher nicht bemerkt, und auch den staubigen Stapel Platten daneben nicht. »Das Essen wartet!«, sagte sie.
Doch er war wie verzaubert. »Sehen Sie sich das an alte Fünfundvierziger!« Er hielt eine Single hoch. »›Bye Bye Love‹ von den Everley Brothers! Das ist ein Klassesong!«
Er kannte sich offenbar aus in der Musik der Fünfziger.
Grace nicht. Sie wollte die Stimmung von vorhin wiederhaben, und so lockte sie mit schmelzender Stimme: »Risotto!«
»Und ›Peggy Sue‹ von Buddy Holly«, schwärmte Adam. Er würdigte sie keines Blickes.
»Mit Wildpilzen!« Sie ließ die Schüssel in der Luft kreisen und hoffte, dass das Aroma bis zu ihm wehen würde. Immerhin führte der Weg zum Herzen eines Mannes doch angeblich durch den Magen.
»Legen wir die mal auf?«, fragte er und hielt die Platte hoch.
»Lieber nicht.«
»Warum?«
»Sie gehört Mrs Carr, und es wäre ihr sicher nicht recht, dass wir in ihren Sachen herumstöbern.«
»Wir stöbern nicht herum - wir spielen nur Musik. Ich wüsste nicht, was sie dagegen haben könnte.«
»Vielleicht nach dem Essen.«
Er legte die Platte trotzdem auf. »Kommen Sie, Grace. Werden Sie nicht wieder so abweisend. Sie waren doch auf einem so guten Weg.«
»Wie bitte?«
»Haben Sie in ihrem vornehmen Dubliner Viertel keine Apparate, mit denen man Musik machen kann?«
»Ich wohne in keinem vornehmen Dubliner Viertel«, schwindelte sie. Woher wusste er überhaupt, dass sie in Dublin wohnte? Wahrscheinlich von dem Nummernschild des Wagens.
»Peggy Sue« platzte mit blechernem Klang in die Diskussion. Grace gab auf, setzte sich und begann im Takt zu nicken, doch nach dem dritten Mal kam sie sich alt und albern vor und hörte auf. Außerdem wollte sie endlich essen.
»Kommen Sie tanzen«, sagte er.
»Was?« Sie schaute verständnislos zu ihm auf.
»Tanzen. Das bedeutet, sich zur Musik bewegen.«
»Ich weiß, was Tanzen ist - aber ich ... ich tanze nicht, okay?«
»Wieso? Ist was mit Ihren Beinen?«
Plötzlich konnte sie ihn nicht mehr ausstehen. »Nein ...«
»Sie sehen ganz in Ordnung aus. Und schön.«
Mit einem verführerischen Blick ergriff er ihre Hand und zog sie von ihrem gemütlichen, sicheren Stuhl hoch.
»Bitte lassen Sie mich los, Adam.«
»Das ist das erste Mal, dass Sie mich mit meinem Vornamen angesprochen haben. Und er hat noch nie besser geklungen.«
Sie bekam keine Gelegenheit zu einer Erwiderung, denn er schwenkte sie herum, verdrehte ihr den Arm und wirbelte sie wie einen Kreisel durchs Zimmer. Sie hatte nicht einmal Zeit, sich lächerlich vorzukommen, denn eine Sekunde der Unaufmerksamkeit könnte eine lebenslange Behinderung zur Folge haben.
»Ich verstehe nicht, dass Sie sich dieses Zeug anhören«, sagte sie, als »Peggy Sue« in die zweite, schmalzige Runde ging. »Ihre Generation hat doch einen ganz anderen Geschmack.«
Es war ihr wichtig, zu reden und sich lustig über ihn zu machen.
Er zog sie zu sich heran. »Ich habe einen ganz speziellen Geschmack«, antwortete er, den Blick auf ihre Lippen gerichtet. Sie spürte ihr Gesicht heiß werden, als sei sie wieder siebzehn und tanze in der Schuldisko mit dem Klassenbeau.
»Können wir aufhören, bitte?«, fragte sie.
»Macht Ihre Arthritis Ihnen zu schaffen?«,
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