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Kleiner Hund und große Liebe

Kleiner Hund und große Liebe

Titel: Kleiner Hund und große Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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nickte, und ihr geflüstertes „Ja“ war kaum hörbar. „Miriam. Kleine Miriam. Deine Mutter ist meine leibliche Nichte. Und ich bin dein Großonkel. Ich bin euer Onkel Isaac.“
    Er breitete die Arme aus. Und jetzt konnte sich Miriam nicht mehr beherrschen. Die Tränen liefen über ihr Gesicht, als sie dem alten Herrn die Arme um den Hals schlang.
    Mama machte mir ein Zeichen, wir standen leise auf und gingen zur Tür. Aber Herr Kalinic hielt uns zurück.
    „Bleiben Sie, gnädige Frau, und Sie auch, Elaine! Es heißt doch ,geteilte Freude ist doppelte Freude’, teilen Sie die Freude mit uns, verdoppeln Sie unsere Freude!“
    „Ja!“ rief Miriam. „Niemand ist so gut zu mir gewesen wie ihr -es gibt keinen Menschen, mit dem ich lieber meine Freude teilen möchte!“
    Sie umarmte Mama, sie umarmte mich, und ihr Onkel wischte ihr liebevoll die Tränen von den Wangen.
    Was wir in der nächtsen Stunde erfuhren, war so unfaßbar, so unglaublich - Mama mußte ein paarmal ihre Augen wischen, und ich bekam einen Kloß im Hals.
    Ruhig, entspannt, mit Miriams Hand in der seinen, fing Herr Kalinic an zu erzählen.
    Er war als junger Student nach Deutschland gekommen und hatte in Heidelberg Sprachen studiert. Während der Studienzeit - es war in den zwanziger Jahren - hatte er sich in eine junge deutsche Jüdin verliebt. Er heiratete sie und „blieb in Deutschland hängen“, wie er sich ausdrückte. Er bekam eine Stellung als Lehrer an einem Gymnasium - Englisch und Französisch - und fuhr nur in den Ferien nach Hause, nach Bratislava, zu seinen Eltern und Geschwistern. Während eines Ferienbesuchs heiratete auch sein zwei Jahre jüngerer Bruder David, der gerade sein Medizinstudium beendet hatte.
    An diesem Punkt der Erzählung nickte Miriam. „Ja. Mein Großvater war Arzt, Internist. Ich habe Muttis Geburtsurkunde gesehen, und daraufsteht ,Dr. med. David Kalinic.’“
    Es war eine große, glückliche Familie in Bratislava. Es ging allen finanziell gut, die Familienmitglieder hatten einander gern, und die Schwiegertöchter wurden liebevoll in die Familiengemeinschaft aufgenommen.
    Dann kam das Jahr 1933. Isaac Kalinic ahnte, was kommen würde. Er gehörte zu denen, die in diesem Jahr Deutschland verließen. Ein englischer Studienfreund von ihm, der die gleiche
    Vorahnung hatte, schrieb ihm, er könnte in England eine Anstellung als Auslandskorrespondent in einer bekannten Firma bekommen. So verließ er mit seiner Frau und einem inzwischen geborenen Sohn Deutschland. Er „sattelte um“, wie er sagte, und konnte in England seine sehr guten Sprachkenntnisse als Korrespondent anwenden.
    Er stand in ständigem Kontakt mit der Familie in Bratislava, er machte sich Sorgen um sie. So, wie sich die Politik in Deutschland entwickelte, mußte man das Schlimmste befürchten. Was inzwischen mit den deutschen Juden geschehen war, wußte er. Wie lange würde es dauern, bis sein Vaterland auch dem Deutschen Reich angegliedert wurde?
    Die Familie aber blieb in Bratislava. Vielleicht ahnte sie nicht, was sie dabei riskierte. Es war schwer, Heim, Beruf und Vaterland zu verlassen und sich in die unsichere Fremde zu begeben. Und wo würde man sie aufnehmen? England hatte schon sehr viele Emigranten aufgenommen. Würde man noch mehr aufnehmen können?
    Dann kam das Jahr 1939, das katastrophale Jahr. Die Tschechoslowakei wurde besetzt, und der Weltkrieg begann. Damit wurde die Verbindung zwischen Isaac Kalinic und seiner Familie unterbrochen. Was er nach dem Krieg alles unternommen hatte, um zu erfahren, was mit seinen Eltern und Geschwistern passiert war, könnte ein Buch füllen. Wenn Millionen von Menschen verschwunden waren, war es ein Wunder, daß man ab und zu über Einzelpersonen Auskünfte bekommen konnte.
    Endlich erfuhr er das, was er befürchtete: Seine ganze Familie -Eltern, Geschwister und alle Verwandten - hatten ihr Leben in den Gaskammern beendet.
    „Ich erfuhr nie, daß mein Bruder David seine kleine Tochter weggeschickt hatte“, erklärte Herr Kalinic. „Ich war fest davon überzeugt, daß auch sie gestorben sei.“
    „Wann hatten Sie.“, fing Miriam an.
    „Kind, du mußt ,Du’ zu mir sagen! Ich bin doch dein Onkel! Dein Onkel Isaac!“
    „Onkel Isaac“, wiederholte Miriam mit zitternder Stimme, und die Tränen traten ihr in die Augen. „Ich habe nie einen Menschen Onkel nennen können!“
    „Jetzt kannst du es“, sagte Herr Kalinic und legte seine alte Hand mit dem feinen, bläulichen Adernetz auf Miriams

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