Kleiner Kummer Großer Kummer
würde mich ohne einen Pfennig gehen lassen, wenn ich nicht zu warten gewillt war und kehrtmachte, wie ich es oft bei meinen anderen Patienten tat, wenn ich sehr beschäftigt war. Vor allem, wenn ich sie vor der Vormittagssprechstunde noch mit Lockenwicklern im Haar im ungemachten Bett antraf. Gewöhnlich waren sie, wenn sie sich vom ersten Schock meines Eindringens erholt und es aufgegeben hatten, ihr Haar in Ordnung zu bringen, wenn ich mich einmal abwendete, nur allzu erfreut über meinen prompten Besuch. Nicht so bei Mrs. Magnus-Wight. Der Arzt hatte in der tintenblau tapezierten Diele zu warten, und das sicherlich - wie ich annahm - ohne triftigen Grund. Die kleinste Abweichung von der Norm würde - da war ich sicher - nur dann möglich sein, wenn ich erst ein ganz Teil höher auf der Erfolgsleiter geklettert sein würde.
Das Zimmermädchen rauschte in das Schlafzimmer zurück und kam wieder heraus, einmal mit einer Vase voll Blumen, einmal mit einer Kaffeekanne, einmal nur, um zu sehen, was ich tat. Da ich in diesem Augenblick gerade einen Sèvres-Aschenbecher in der Hand hielt, um ihn näher zu betrachten, hielt sie ihre Wachsamkeit sicher für gerechtfertigt.
Um halb eins beschloß ich, daß ich lange genug gewartet hatte, und schlenderte den Flur entlang, wobei meine Füße im Teppich versanken, um nach dem Wesen zu suchen, das mich eingelassen hatte. Sie warf mir wegen meiner Ungeduld einen mißbilligenden Blick zu, sagte aber, daß »Madam« mich jetzt empfangen wolle.
Die Hon. Mrs. Magnus-Wight war von blauem Samt umhüllt und lag auf einer mit rosa Samt bezogenen Chaiselongue. Ich stellte meine Tasche auf das Bett, von wo sie prompt von dem Zimmermädchen heruntergefegt und auf den Boden gesetzt wurde, und ging mit ungeduldigen Schritten weiter in das Zimmer hinein. Eine lilienweiße Hand winkte mich gebieterisch zu einem winzigen, mit rosa Samt bezogenen Stuhl neben der Tür. Ich beachtete die Geste nicht und schlenderte weiter umher. Ich wartete, während sie sich dazu bereit erklärte, eine Kiste Whisky für die Tombola eines Wohltätigkeitsballes zu stiften - »... wenn ich an diese armen blinden Babys denke, läuft es mir kalt den Rücken herunter...« - während sie feststellte, daß Philippe ganz sicher der einzige Friseur sei, zu dem man augenblicklich gehen könne, niemand, der auch nur etwas auf sich hielte, könne noch zu Maurice gehen, und daß sie alle zusammen ganz bestimmt zu diesem neuen amerikanischen Musical gehen würden - »... anschließend essen wir im Rose-Hotel, nicht wahr?«
Meine Schritte wurden lauter und lauter, und nachdem sie zum vielleicht fünfzehnten Mal »Darling, ich muß jetzt wirklich Schluß machen«, gesagt hatte, legte sie endlich den Hörer hin.
Indem sie sich zu mir wandte, streckte sie die Hand aus. »Na«, fuhr sie mich an, »haben Sie die Muster mitgebracht?«
Sie sah auf meine Tasche. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob sie wohl von mir erwartete, daß ich einige Beispiele von Krankheiten vor ihr ausbreitete, von denen sie sich die am aufregendsten klingende aussuchen könnte.
»Was für Muster?« fragte ich.
»Für die Vorhänge. Ich habe keine Zeit, diesen Vormittag zu verschwenden. Sie sind doch von Staples, nicht wahr?«
Ich erklärte ihr, daß ich nicht von Staples sei, und stellte mich vor, worauf sich ihr ärgerliches Aussehen nicht sehr verringerte. Sie blieb immer noch unnahbar, bis ich Wilfred erwähnte. Sie dachte eine Weile nach und rief dann: »Oh, Willie Pankrest! Jetzt erinnere ich mich. Natürlich war es Willie, der mir von Ihnen erzählt hat, Sie haben doch diesen schrecklich langweiligen Lord Soundso von seinen Furunkeln kuriert, nicht wahr? Mit irgendeinem neuen Mittel, war es nicht >Ozon< oder so etwas Ähnliches?«
Off ensichtlich verwechselte sie mich mit irgend jemand anders. Ich wartete, bis sie ihr Geplapper beendet hatte, und dann fragte ich sie, was ihr denn fehle.
»Nichts«, antwortete sie, soweit sie wüßte. Sie befühlte alle ihre Glieder, als wolle sie sehen, ob sie nicht vielleicht ein gebrochenes übersehen hätte.
»Aber warum haben Sie denn nach mir geschickt?« fragte ich. »Mr. Pankrest teilte mir mit, daß Sie meinen Besuch wünschen.«
Ihre blauen Augen, mit einem Ring schwarzer Tusche umgeben, öffneten sich weit.
»Aber das war doch letzte Woche«, kreischte sie, »ich kann mich nicht mehr genau erinnern, unter was ich bei dieser Abendgesellschaft bei den Poppys gelitten habe. Ich saß neben Willie
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