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Kleiner Kummer Großer Kummer

Kleiner Kummer Großer Kummer

Titel: Kleiner Kummer Großer Kummer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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lassen, meinem alten Freund Archibald Compton gehörte. Wie der Liste zu entnehmen war, hatte er mir auch Mildred Price mit ihren beiden chronischen Krankheiten weggeangelt. Die arme Seele erwartete wohl nur, daß der Kopf eines neuen Arztes eine neue Kur für sie ausbrüten würde. Außerdem Mrs. Schwarz und Familie, die schon immer auf meiner Liste standen, von denen ich aber noch nie jemanden gesehen hatte; Mr. Mc-Taggart, der stets erst dann um meinen Besuch bat, wenn ich gerade meine Runde begonnen hatte, und dann verärgert war, wenn ich erst nachmittags bei ihm auf kreuzte; die Brooks-Familie, mit der ich ohne besonderen Grund nie warmgeworden war; und schließlich Mr. und Mrs. Hart und ihre vier Kinder. Diese letzten Namen waren die einzigen, die Entrüstung bei mir hervorriefen; ich hatte die Hart-Familie bei einer ganzen Reihe von Krankheiten behandelt, war sehr gut mit ihnen ausgekommen und konnte überhaupt keinen Grund sehen, warum sie den Arzt wechseln sollten. Es interessierte mich sehr, warum sie alle ihre Karten zu Dr. Compton gegeben hatten, und ich beschloß, ein wachsames Auge auf die Nummer 939/81 zu haben.
    Durch die zwei Wochen Ferien erholt, erledigte ich meine Vormittagssprechstunde mit neuem Schwung. Ich war zu jedem höflich, lauschte würdevoll den längsten der langen Krankengeschichten und Lebensläufe und verbreitete allgemeine Zufriedenheit um mich.
    Mein erster Patient war Mrs. Goodwin mit ihrem Baby, das, wie sie sagte, an Bauchschmerzen zu leiden schien. Sie hatte ihm ein »Pulver« gegeben, aber es hatte anscheinend nicht gewirkt.
    Seit undenklichen Zeiten ist es das Vorrecht der Mütter, die Medikamente für ihre Sprößlinge vorzuschreiben, ohne einen ärztlichen Rat anzunehmen. Mit dem Nationalen Gesundheitsdienst und der »freien« Behandlung durch die Ärzte hat sich da nicht allzuviel geändert. Ich habe mich immer bemüht, herauszufinden, wieviel unverschriebene Medikamente meine kleinen Patienten während ihres ersten Lebensjahres eingetrichtert bekamen. Diese Medikamente bestanden in der Hauptsache aus Bitterwasser, Zahnpasta, Hustensaft (oft die gute, altmodische, hausgemachte Mischung aus schwarzem Sirup und Essig), Aspirin und Abführmitteln, mit einem Vertrauen in die Wirkungskraft der seit Generationen erprobten Mittel, das nicht totzukriegen war. Die Kleinkinder, die sich nicht dagegen wehren konnten und die seltsamsten Brühen gutgläubig in ihren protestierenden Magen laufen ließen, schienen diesen Zeitabschnitt zu überleben.
    Großmama setzte natürlich noch größeres Vertrauen in roten Flanell, Schwitzen und Einreibungen. Oft telefonierte man erst dann nach meiner Hilfe, wenn all diese guten Damen versagt hatten, und dann war es gleich, ob es nachts, sonntags oder Sprechstundenzeit war.
    Ich wurde mit Baby Goodwins Bauchschmerzen schnell fertig und beeilte mich auch bei den anderen Fällen, da das Wartezimmer überfüllt war.
    Als ich die Sprechstunde schließen konnte, war es schon nach elf Uhr. Ich erledigte die beiden dringendsten Besuche auf meiner Liste und überlegte dann, daß ich jetzt eigentlich einmal die Hon. Magnus-Wight besuchen könnte, da Wilfred ihr versprochen hatte, ich würde vor zwölf Uhr dort sein. Fünf Minuten vor zwölf klingelte ich an der luxuriösen Wohnung in der West-Straße. Ein Zimmermädchen der üblichen Ausgabe öffnete die Tür und führte mich in die Diele, wo ich, wie sie sagte, warten möchte. »Madam«, säuselte sie, wobei sie kaum die Lippen bewegte und mich mißbilligend betrachtete, »ist im Bad.«
    Ich blickte ostentativ auf meine Uhr und beschloß, ihr einige Minuten zu gewähren. Ich war mir klar, daß ich jetzt mit einem andersartigen Typ von Patienten zusammenkam, der bereitwillig ein großes Honorar zahlte, um sich einen Arzt nach seinem eigenen Geschmack auszusuchen. Hier konnte ich nicht, wie ich es in meiner Gesundheitsdienstpraxis gewohnt war, die Treppen - zwei Stufen auf einmal - hinaufspringen, mir schon auf dem Weg von Mutter oder Verwandten die Krankengeschichte erzählen lassen, den Patienten untersuchen, etwas verschreiben, hinuntereilen und wieder in den Wagen springen. Die Hon. Mrs. Magnus-Wight bezahlte die gleiche Behandlung, aber einen anderen Aufwand. In ihrem Fall hatte man Ruhe zu bewahren und ihr den Eindruck zu vermitteln, daß sie mein alleiniger Patient sei und ich nur für sie zu sorgen habe. Sie zahlte mich dafür, daß ich dann erschien, wenn sie bereit war, mich zu empfangen, und

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