Kleiner Kummer Großer Kummer
Sie ihn, nicht wahr? Sie warten nicht darauf, bis der Wagen auseinanderbricht.«
George grinste. »Das wird bald mit Ihrer Klapperkarre passieren, wenn Sie nicht aufpassen. Eines Tages sitzen Sie mitten auf der Straße und haben keine Hinterachse mehr. Warum schmeißen Sie sie nicht weg, Doktor? Ich habe gerade ein entzückendes silbergraues Coupé hereingekriegt, fünfundzwanzig, weil Sie’s sind...« Seine Stimme wurde undeutlich, weil die Tablette zu wirken begann.
»Ich kann es mir jetzt nicht leisten, George«, sagte ich, und in der Tat, bei der bevorstehenden Vergrößerung meiner Familie mußte ich nun wohl mit Sparen beginnen. »Aber Sie würde die Operation keinen Pfennig kosten.«
Er fiel langsam in Schlaf. »Kaufen Sie... neuen Wagen... von mir, und ich... werde mir... die Sache überlegen...«
Ich stand auf und beugte mich über das Bett. »George«, drang ich in ihn, »ich möchte, daß Sie sich klar darüber werden, daß Ihr Leben in Gefahr ist, und nicht irgendeine dumme Hinterachse. Das ist immerhin etwas anderes...« Er schlief. Aber wenn er es noch gehört hätte, würde es keinen Unterschied gemacht haben. Ich hatte es ihm schon so oft gesagt.
Da es nun schon so spät war, entschloß ich mich, unterwegs eine Tasse Kaffee zu trinken und dann die restlichen Besuche zu erledigen, bevor ich heimfuhr. Als ich das Restaurant betrat, zahlte Archibald Compton gerade seine Rechnung. Ich hätte ihn am liebsten gefragt, wie die Hart-Familie auf seine Liste gekommen sei, aber das konnte ich schlecht in Gegenwart des Kellners tun. Wir nickten einander zu und ich setzte mich. Doktor Compton erledigte die Abrechnung und kam dann zu mir herüber. »Ah!« dachte ich, »er kommt, um die Sache wegen der Harts zu erklären.« Er legte eine Hand auf meine Schulter und beugte sich zu meinem Ohr.
»Versuchen Sie die Schweinsohren«, flüsterte er. »Die sind ausgezeichnet.«
9
Da Sylvia seit drei Monaten in Hoffnung war, mußte ich mich entscheiden, wen ich darum bitten sollte, das Baby zu holen. Während die meisten meiner Patienten ihre Babys zu Hause oder im Krankenhaus (falls es sich um das erste Baby oder besondere Fälle handelte) auf Kosten des Nationalen Gesundheitsdienstes bekamen, zogen es einige vor, einen Gynäkologen zu bezahlen, den sie privat aufsuchten. Durch meine Praxis stand ich in ziemlich freundschaftlicher Verbindung mit drei oder vier Gynäkologen, von denen jeder, wovon ich überzeugt war, sich nur zu gern um Sylvia bemüht hätte. Abgesehen von der Tatsache, daß wir Ärzte immer bereit sind, nach einem Kollegen oder seiner Familie zu sehen, konnte die Auswahl eines Spezialisten für meine Frau leicht so ausgelegt werden, als wolle ich meine zukünftigen gynäkologischen Fälle zu ihm schicken. Der Spezialist mit Privatpraxis ist immer noch auf den praktischen Arzt angewiesen, um existieren zu können; er konnte keinen Patienten behandeln, ohne daß er ihm von einem praktischen Arzt überwiesen wurde.
Die ärztliche Etikette ist eine heikle Angelegenheit, die der Laie oft nicht verstehen kann. Im großen und ganzen haben die Leute Verständnis für die Ethik des Arztes, wenn es um die Geheimhaltungspflicht geht oder darum, daß ein Arzt die Behandlung eines Patienten verweigert, der bereits von einem anderen Arzt behandelt wird, aber manche Patienten wollen die Regeln des Ärztestandes einfach nicht anerkennen. Sie betrachten diese ganze Prozedur der vielen Besuche mit Argwohn, als seien diese Regeln nur zum Schutze der erworbenen Rechte der Ärzte erdacht, und neigen dazu, zu vergessen, daß es der Hausarzt ist, den sie rufen werden, wenn sie in der Sonntagsnacht plötzlich schwer erkranken, und nicht der Spezialist.
Gewöhnlich empfiehlt der praktische Arzt seinen Patienten eine kleine Gruppe von Fachärzten, zu deren Fähigkeit er Vertrauen hat, und im Laufe der Jahre kann man aus der Briefanrede zwischen ihm und den Spezialisten einen ganzen Roman herauslesen.
Nach fast zwei Jahren Praxis stand ich im Vornamen-Verhältnis mit drei Gynäkologen - und jetzt mußte ich mich wegen unseres eigenen Kindes entscheiden. Ich entdeckte, daß es eine andere Sache war, einen Facharzt für einen Patienten auszuwählen, als wenn es um die eigene Familie ging. Meine kühle Entscheidungsfähigkeit war dahin, ich war vollkommen unsicher. Da jeder der Männer, die ich in Betracht zog, gleichermaßen befähigt war - was die Geburtshilfe anbetrifft -, würde es schließlich auf eine Frage des
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