Kleines Herz in Not
dass du so eine tolle Familie hast."
Cheyenne lachte. „Ich weiß nicht, was so toll daran sein soll, drei Geschwister zu haben, die all deine Schwächen kennen und sie auch eiskalt ausnutzen."
„Wärst du lieber ein Einzelkind gewesen?"
„Nein! Das wäre für mich einfach undenkbar. Ich liebe meine Familie."
Jetzt ist ein günstiger Zeitpunkt, dachte Thomas. „Was ist wichtiger für dich? Deine Familie oder ,Happy Tours'?"
„Was soll das sein? Eine Testfrage? Die Antwort liegt doch auf der Hand. Die Familie natürlich."
,,Wenn du mich das Gleiche gefragt hättest - Familie oder Hotels -, hätte ich mich für die Hotels entschieden."
„Das glaube ich dir einfach nicht."
Thomas hatte schon befürchtet, dass es schwierig werden würde, ihr seinen Standpunkt begreiflich zu machen. „Du hast doch mitbekommen, dass meine Mutter nicht ein einziges Mal nach ihrem Enkel gefragt hat. Familie bedeutet ihr nur wenig. Eine ihrer Schwestern ist mit einem reichen Senator verheiratet, die andere mit einem ehemaligen Sergeanten der Luftwaffe. Was glaubst du wohl, mit welcher von beiden sie engen Kontakt pflegt und welche von ihr zu Weihnachten allerhöchstens einmal eine billige Weihnachtskarte bekommt? Geld und Macht bedeuten meiner Mutter alles." Thomas blickte starr geradeaus. „Und ich bin genauso."
„Bist du nicht. Hat der Schaukelstuhl deiner Großmutter gehört?"
Thomas blickte überrascht hoch. Cheyenne ließ die Hand langsam über die hohe Lehne gleiten. „Hörst du mir eigentlich zu?" fragte er scharf.
„Natürlich. Du hast eine egoistische, gedankenlose Mutter. Ich frage mich, warum sie wohl so geworden ist. Wie waren ihre Eltern?"
Thomas runzelte die Stirn. Wieder hatte sie von dem abgelenkt, was er eigentlich hatte sagen wollen. „Als wir noch Kinder waren, hat meine Mutter David und mich öfter zu ihrer Mutter mitgenommen. Meine Großmutter tat zwar immer so, als würde sie sich freuen, aber sie schickte uns, gleich nachdem sie uns be grüßt hatte, ins Freie zum Spielen. Wir durften nichts anfassen und auch nur draußen essen, weil sie Angst hatte, wir würden kleckern. Als wir älter waren, haben wir uns strikt geweigert, dorthin zu fahren. "
„Wie schön, dass du zwei Großmütter gehabt hast!"
Thomas trank einen Schluck Cognac und drehte in Gedanken versunken das Glas zwischen den Fingern hin und her. „Grandma Steele lebte nur für die Hotels. Grandpa auch. Er starb mit sechzig. Von dem Tage an hatte meine Großmutter gar keine Zeit mehr für uns."
„Immerhin hat sie euch doch alles beigebracht, was sie über das Hotelgeschäft wusste."
„Weil sie sich Sorgen gemacht hat, was nach ihrem Tod geschehen würde. Das Vermächtnis der Steele-Familie musste hochgehalten werden. Es ging ihr nie um uns."
„Das glaube ich nicht."
„Das kannst du aber", sagte Thomas verbittert. „Auch wenn du es nicht wahrhaben willst: Wir sind keine Bilderbuchfamilie. Wir lieben nicht. Wir nutzen die Leute aus. Ich habe keine Familie. Und ich kann auch nicht lieben." Er wagte es nicht, Cheyenne anzusehen, aus Angst davor, was er in ihrem Gesicht entdecken würde. Er wollte ihr Mitleid nicht.
„Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe."
Verwirrt blickte er sie an. „Das sagt sich so leicht", erwiderte er aufgebracht. „Du hast eine intakte Familie. Ich hatte nie das Glück."
„Da irrst du dich. Du hast sehr wohl eine Familie. Eine ungewöhnliche zwar, das muss ich zugeben."
„Eltern, die ihre Kinder sträflich vernachlässigen, sind ja wohl kaum in der Lage, eine heile Familie zu begründen."
„Ich spreche von deiner wirklichen Familie. Von den Leuten im Hotel. Von Edward, Alice, Johnny und seinem Vater, Bernardo und Mame und allen anderen. Sie haben euch erzogen, Manieren beigebracht, Süßigkeiten geschenkt und mit euch gespielt. Und sie haben deine Großmutter über eure Fortschritte informiert - und auch darüber, ob ihr glücklich oder traurig wart. Als euer Großvater starb, hatte eure Großmutter eine Aufgabe zu bewältigen, die all ihre Kraft und Zeit in Anspruch genommen hat: nämlich die Führung der Hotels. Hätte sie nicht die Kontrolle übernommen, was wäre dann aus den Hotels geworden? Aus euren Eltern? Aus euch?" Cheyenne gab dem Schaukelstuhl einen kleinen Stoß. „Wenn sie noch gelebt hätte, hätte sie nicht zugelassen, dass David und seine Frau alle Brücken zur Familie abbrachen. Auch deine Großmutter hat als Zimmermädchen angefangen. Und dein Großvater war
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