Kleines Lexikon christlicher Irrtümer - von Abendmahl bis Zungenreden
befürchten, ein humorvoller, lachender Gott würde etwas von seiner erhabenen Ehre verlieren?
I
IRRLEHREN sind überflüssig
Im Laufe der Zeit haben sich unterschiedliche Religionen, Konfessionen und Glaubensgemeinschaften entwickelt, die alle davon überzeugt sind, den richtigen Weg gefunden zu haben. Die Mitglieder glauben meistens, was in ihrer eigenen Religion oder Konfession oder Glaubensgemeinschaft überliefert wird. Glauben hat allerdings immer auch damit zu tun, dass man das, was man da glaubt, für richtig hält, sonst würde man es ja nicht glauben. Da man Glaubensdinge aber selten beweisen kann, kann niemand wirklich wissen, ob das, was er glaubt, richtig ist. Genau das wüssten die Menschen aber gerne. Was tun? Es werden Lehren aufgestellt, die festhalten sollen, was der eigenen Überzeugung nach richtig ist und um sich von allem anderen abzugrenzen. Und genau hier beginnt das Problem. Denn welche anderen und neuen Gedanken kann man jetzt noch zulassen, ohne die einzige Wahrheit, die man ja in seinem eigenen Glauben gefunden zu haben meint, in Gefahr geraten zu lassen? Was, wenn jemand das ganze schöne Denkgebäude – und Einfluss und Macht der darin Wohnenden! – durch neue Gedanken gefährdet und Zweifel unter den Mitgliedern sät? Also grenzt man sich weiter ab, stempelt alles, was nach anderen oder neuen Ideen aussieht, als Irrlehre ab und erklärt es für überflüssig und böse, denn den richtigen, den guten Weg kennt man ja schon. Ob ein Weg ohne Weiterentwicklung wohl überhaupt irgendwohin führt?
Natürlich laufen viele neue Ideen auch ins Leere, aber waren sie deswegen überflüssig? Für die Entwicklung und Renovierung des eigenen Gedankengebäudes sicher genauso wenig wie manchmal
auch für die Entstehung ganz neuer Gebäude. Ein Beispiel: die Reformation. Nachdem der Protestantismus, der anfangs noch als Irrlehre galt, sein eigenes Häuschen errichtet hatte, begann die katholische Kirche in der Gegenreformation ihres zu renovieren. Sie hatte wohl erkannt, dass Stillstand das Haus viel schneller zum Einstürzen bringen kann als neue Gedanken. Verschwiegen werden darf dabei allerdings nicht, dass die Reformatoren mit angeblichen Irrlehrern und Andersgläubigen ihrerseits auch schonungslos umgingen.
Fest steht, auch wenn viele das Gegenteil behaupten: Niemand weiß, ob der eigene Weg tatsächlich der einzig richtige ist. Glauben heißt eben glauben und nicht wissen. Abgrenzung und Einigkeit über die wichtigsten Grundlagen eines Glaubens sind zwar wichtig, damit er sich nicht in Beliebigkeit auflöst, eine völlige Abriegelung gegen alles Fremde und Neue führt allerdings auch nicht voran. Ob eine Lehre überflüssig war oder nicht, zeigt sich sowieso erst am Ende der Zeit. Wahrscheinlich aber ist nichts wirklich überflüssig. Neue oder fremde Gedanken stoßen die alten und bekannten an und wecken sie aus dem »Schlaf der Sicherheit«. Nur so geschieht Entwicklung.
J
Würde JESUS wieder kommen, würde er mit offenen Armen aufgenommen
Ein interessantes Gedankenspiel: Was wäre, wenn Jesus auf die Erde zurückkehrte? Würden ihn die Christen erfreut begrüßen? Eine literarische Antwort hat der russische Dichter Fjodor M. Dostojewski gegeben. Mit einem Satz wie ein Schwerthieb lässt er seine Erzählung vom Großinquisitor beginnen: »Warum bist Du gekommen, uns zu stören?« Von niederschmetternder Direktheit strotzt die Frage. Gestellt wird sie niemand geringerem als Jesus selbst, der nach 1500 Jahren erneut auf die Erde gekommen ist. In Spanien, zur Zeit der härtesten Ketzerverfolgung, trifft er auf den neunzigjährigen Großinquisitor. Dostojewski füllt diese (für seinen Roman »Die Brüder Karamasow« erdachte) Szene mit einem dramatischen Monolog des Greises. Dessen Argument: Die Kirche bestimme mittlerweile, was Freiheit sei – nicht mehr Jesus. »Morgen wirst du selber die gehorsame Schar sehen«, prophezeit der greise Inquisitor, »die auf den ersten Wink meiner Hand sich zum Scheiterhaufen stürzen wird, um die Kohlen zu schüren, auf welchen du dafür brennen sollst, dass du gekommen bist, uns zu stören. Morgen werde ich dich verbrennen. «
Ob die Kluft zwischen Jesus und Kirche, zwischen göttlicher Wahrhaftigkeit und vielfacher institutioneller Rechthaberei tatsächlich so groß ist? Viele Kirchenvertreter werden hier verständlicherweise anderer Meinung sein. Schließlich hat — nach katholischer Lehre – Jesus selbst die Kirche eingesetzt. Als legitimer
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