Kleines Lexikon christlicher Irrtümer - von Abendmahl bis Zungenreden
theologischen Denker dieser Zeit sich immer wieder um Übereinkünfte in den zentralen Glaubensfragen bemühen mussten, gab es im Mittelalter im Westen praktisch nur noch die römisch-katholische Kirche, die alle Entscheidungsautorität für sich beanspruchte und auch immer mehr an politischem Einfluss gewann. Mit der Gründung der Inquisition konnte die Kirche in Zusammenarbeit mit der weltlichen Macht gegen Ketzer vorgehen, die von nun an, waren sie überführt, öffentlich auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Um den tatsächlichen Glauben der Ketzer ging es dabei eher selten. Oft waren sie der Kirche oder auch einem weltlichen Machthaber einfach nur unbequem, weil sie ihnen politisch im Weg standen, weil sie auf Missstände aufmerksam machten oder zu viele Menschen zu überzeugen vermochten.
Was im Glauben richtig oder falsch ist, können wir nicht wissen, sondern eben nur glauben. Daher kann man anderen auch
höchstens vorhalten, dass sie nicht der Lehre der eigenen Religion oder Konfession entsprechend glauben. Wer anderen vorwirft, sie glaubten falsch, sieht sich meist vor allem selbst in seinem Glauben und seiner Macht verunsichert.
Jesus hat die KIRCHE gegründet
»Jesus verkündete das Reich Gottes – gekommen ist die Kirche«, meinte der katholische Theologe Alfred Loisy und bringt die Sache damit auf den Punkt. Auch wenn die katholische Kirche meint, ihre Gründung auf einen Ausspruch Jesu zurückführen zu können, der im Matthäusevangelium sagt: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde (›ecclesia‹) bauen« (Matthäus 16,18). – Jesus hat sicherlich keine Kirche gründen wollen. Nicht nur, dass dieser ihm zugeschriebene Satz heute meist als nachträgliche, kirchenpolitisch motivierte Einfügung gilt: Jesus verkündete das schon anbrechende Gottesreich, erwartete also eine baldige Zeitenwende, es gab daher für ihn gar keine Veranlassung, eine solche Institution zu gründen. Mit seiner Botschaft gewann er jedoch Anhänger, die sich nach den Erfahrungen seines Todes und seiner Auferstehung vom Heiligen Geist umgeben wussten und in seiner Nachfolge die Botschaft weiterverbreiteten. Diese Urgemeinde verstand sich nun als Kirche, als »Ekklesia«, was »die Herausgerufenen« oder im übertragenen Sinne »Volk Gottes« heißt. In seinem ersten Brief an die Korinther beschreibt Paulus sehr bildlich, wie er sich das Wesen der Kirche vorstellt, ohne den Begriff Kirche allerdings zu nennen. »Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied« (1 Korinther 12,27). Durch die Taufe werde man in diesen Leib aufgenommen und jeder könne mit seinen eigenen Fähigkeiten zum Wohl des Ganzen beitragen. An anderer Stelle beschreibt
er die Gemeinde als auf Jesus Christus gegründetes Bauwerk (1. Korinther 3,7ff).
Jesus hat die Kirche also nicht gegründet. Dennoch ist sie auch keine Erfindung der Jünger, denn es besteht eine Kontinuität zwischen Jesus und seiner Verkündigung und der Entwicklung der nachösterlichen Gemeinden. Der Neutestamentler Jürgen Roloff hat es so ausgedrückt: »Jesus von Nazareth war nicht der Gründer, wohl aber der Grund der Kirche.«
Gott wohnt in den KIRCHEN
Die Frage »Was sind Sakralbauten?«, beantwortet der Katechismus der katholischen Kirche so: »Sie sind Stätten des Gebets, in denen die Kirche vor allem die Eucharistie feiert und Christus anbetet, der im Tabernakel wirklich gegenwärtig ist.« Gott im Tabernakel, dem Aufbewahrungsschränkchen für die in der Messe zu Christi Leib gewandelten Hostien? In vielen evangelischen Kirchen liegt auf dem Altar eine aufgeschlagene Bibel — als Zeichen dafür, dass Gott in seinem Wort anwesend ist. Das Bedürfnis der Menschen, Gott irgendwo verorten zu können, scheint groß zu sein. Aber wohnt Gott wirklich in den Kirchen? Lässt er sich in Kathedralen, in Schränkchen und Büchern einsperren?
Nein, sagt schon die Apostelgeschichte, indem sie den Propheten Jesaja zitiert: »Der Allerhöchste wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind, wie der Prophet spricht: ›Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße; was wollt ihr mir denn für ein Haus bauen‹, spricht der Herr, ›oder was ist die Stätte meiner Ruhe? Hat nicht meine Hand das alles gemacht? ‹« (Apostelgeschichte 7,48ff). Aber wo kann man Gott dann finden, wenn er an keinem bestimmten Ort wohnt? Paulus
erklärt es den Korinthern in seinem ersten Brief an sie so: »Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel
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