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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Literaturgeschichte, nach ihrem eigentlichen Inhalt.
    Die letzte Woche war schwer durch ihre furchtbare Hitze. Gestern etwas kühler, heute wieder beginnende Schwüle. Hätte ich mich nicht an der Schreibmaschine festhalten können, so wäre mir die ganze Zeit verloren gegangen.
    Vorgelesen in letzter Zeit: dem Gaucho Sombra von * Guiraldes habe ich Unrecht getan: eine wunderbare Dichtung, * Traven weit überlegen. Das Buch hat mir zum erstenmal Gefühl für die spanische große Klassik gegeben, von der es ganz durchtränkt ist. Die beiden Componenten: Realismus des Lazarillo 1 u. eine überwältigende Bildkraft, die ganz am real Erlebten haftet, u. doch ein ungeheures poetisches Lebensgefühl besitzt. Ich bin kaum jemals so von real u. beruflich gebundenen u. doch frei schwingenden Bildern angepackt worden wie hier. Entzückend das Märchen, das der Gaucho vom Schmied Elend u. Gott u. Teufel erzählt. Bekannteste Märchenmotive, ganz wie bei den * * Grimms 1 u. doch alles bis ins Kleinste ins Argentinische u. Gauchodenken umgebogen. Ich habe aus nichts so viel über die spanische Klassik u. ihre Weltanschauung gelernt wie aus diesem Buch. –
    Danach von * Sherriff und * Vernon Bartlett 2 die Romanbearbeitung des oft gespielten englischen Kriegsstückes Journey s End (Die andere Seite) . Ein schönes u. ergreifendes Werk; ich kenne das Drama nicht, aber man merkt deutlich, was das eigentliche Stück, u was Ausbreitung u. Vorspiel ist. Am Tag vor der deutschen Offensive 1918 im englischen Schützengraben. Das Elend, die Tapferkeit, die Kriegsmüdigkeit, das Nonsensgefühl drüben wie bei uns. Ganz junge Leute, fast Gymnasiasten, Familienväter. Die tragische Grundidee. Der Held, 3 Jahre draußen, mit den Nerven zu Ende, bester Offizier – u. innerlich nur noch Angst u. Qual, die durch übermäßigen Alkoko Alkohol allein zu übertäuben ist. Die Braut zu Hause ahnt es nicht, u. er möchte ihr Idealbild des geliebten Helden nicht zerstören. Nun komt als jüngster Leutnant, frisch vom College, ihr Bruder, sein Freund zur Kompagnie. Wird er ihn verraten? Der Junge fällt, ehe etwas entschieden ist. Auch der Held – das bleibt offen – geht wohl drauf. – Einzelnes aus dem englischen Leben so interessant. Die Stellung des Sports im College. Das System der Disciplin, Convention u. Prügel dort. – Im Schützengraben die Wette auf das Wettrennen der Ohrwürmer. Tic: den Kandidaten in Whisky tauchen, dann rennt er wie toll. – –
    Danach ein, zwei Capitel * Karl May: Der Schatz im Silbersee . 3 Auf höhnische u. begeisterte Empfehlung der * * Wieghardts. Schlechteste Verschundung * Gerstäckers u. * Sealsfields. 4 Nach zwei Capiteln schämt man sich ein bißchen. Vielleicht nächstens weiter.
    Jetzt wieder einen ganz bedeutenden Engländer, modernster Dickens: * A. P. Herbert Wasserzigeuner[] . 5 Erstaunlich reich u. vieltönig, ich meine unparteiisch.
     

 
    21. Juli Sonntag .
    * Condillac u. * Helvétius fertig et in machina. Ich klamere mich an diese Arbeit – druckfertig in Maschinenschrift ist sie unabhängig von mir u. kann mich überleben. Vanitas! ich frage mich immer wieder, was an ihr neu u. mein eigen ist. Diese philosoph. Capitel erfordern ganz neue Studien, jedesmal eine große Monographie u. viel Text lectüre. Ich nehme neuerdings auch die Bibl. Berlin in Anspruch.
    Ich muß mich an das Buch klamern; denn die Sorgen wachsen so, daß ich schon gar nicht mehr an sie denken darf u. kann; es ist wie im Unterstand: denkt man immerfort an den nächsten Einschlag, so wird man verrückt. – Beiliegendes Schreiben sandte ich auf Anraten des Rentamts: es sei im Ermessen des * Statthalters, wieweit meine Militärzeit außerhalb der Frontmonate, wieweit meine Dozentenzeit vor Dresden für meine Pension angerechnet werde! Es ist heute der 21. Juli, u. noch immer weiß ich nicht, was man mir vom 1. 8. ab zahlen wird.
    – Die Judenhetze und Pogromstimmung wächst Tag für Tag. Der Stürmer, * Göbbels Reden (wie Flöhe u. Wanzen vertilgen!), Gewalttätigkeiten in Berlin, Breslau, gestern auch hier in der Pragerstr. Es wächst auch der Kampf gegen Katholiken, Staatsfeinde reactionärer u. communistischer Richtung. Es ist, als seien die N. s zum Äussersten gedrängt u. bereit, als stünde eine Katastrophe bevor. –
    * Praetorius , mit dem wir Zwist wegen Durchlässigkeit des Daches hatten, u. der uns jetzt die Diele erweitern u. die Veranda verglasen soll – 1 300 M. von * Georgs 6 000, Gott weiß, ob ich

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