Klemperer, Viktor
Kellertür, es wurde ein paarmal sekundenlang finster, man wartete in peinlicher Spannung. Wir gingen dann wieder vor die Kellertür. Rauch am Himmel. W. Lang ging durch das Haus auf den Platz u. berichtete: starke Rauchwolken Friedrichstadt. Man hörte neues Summen, neue Schläge. Das ging so eine reichliche Stunde bis zur ersten Entwarnung. Um ¼ 2 war ich wieder oben, um ½ 2 erst wurde endgültig entwarnt. Sehr erregt war ich nicht gewesen, jedenfalls viel stumpfer als das vorige Mal. Um E. hatte ich keine Sorge .. Es ging lange keine Tram, u. sie kam erst erst gegen ½ 5. Sie war wieder dem Unheil näher gewesen, als ich gedacht. Denn die Amerikaner haben nicht nur den Bhf. Friedrichstadt, sondern auch die Bahngleise am Hauptbahnhof, an der Hohen Brücke u. der Nossener Brücke bombardiert, u. E. hat den eigentlichen Angriff bei * Frau Winde Würzburger-, Ecke Chemnitzerstr erlebt u. die Bomben sehr nahe pfeifen u. einschlagen hören. – Jetzt wo die russische Offensive auf Oberschlesien zielt, müssen wir mit weiteren Angriffen rechnen. – Ich las für mich sehr wenig im Pleyer, ich las u. lese sehr viel * Ulitz 6 vor; es hat gar keinen Zweck, sich in Gedanken viel mit der Fliegergefahr zu befassen, wir sind auch wirklich beide sehr stumpf.
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Zweiter Alarm 21 45 –fast 23 h, davon eine volle Stunde Keller. Wir waren nach spätem Essen, glücklicherweise noch nicht zu Bett. Funkelnder Sternenhimmel aber große Dunkelheit. Sehr böse Herzbeschwerden. Entferntes aber anhaltendes u. heftiges Schießen, wohl wieder in Riesa u. Großenhain wie am Sonntag. Im Keller vielfach große Deprimiertheit, Gleichgültigkeit gegen die russischen Erfolge, Pessimismus, Angst. * Eisenmann senior entsetzt u. mich verwarnend, als ich vom englischen Bericht sprach. Übrigens sollen die Engländer erklärt haben, wenn Deutschland noch immer nicht nachgebe, würden sie jetzt mit den Luftangriffen Ernst machen. Das erinnert mich an * Walter Jelski, der einmal geradezu parricidisch 7 auf seine Eltern schimpfte – mit 18 Jahren etwa, in der Holbeinstr., 8 u. nach tausend Gräßlichkeiten derart schloß: Wenn sie mich noch weiter ärgern werd ich nun ordinär. Das ist nun seit etwa 24 Jahren geflügeltes Wort bei uns. – Eine Weile stand ich im Stockfinstern vor der Kellertür. Ich hörte wie * Berger ein paar andern weiter vorn erzählte, was in einer deutschen Ztg. zur Charakteristik der Schweizer Neutralität gestanden habe. Ein amerik. Geschwader. Die Schweizer Flak funkt: Ihr seid auf Schweizer Gebiet. Antwort der Amerik. Das wissen wir. – Wenn ihr nicht umkehrt, müssen wir schießen. – Das wissen wir. Die Batterie schießt. Das Geschwader funkt: Ihr schießt viel zu tief. Die Schweizer funken zurück: Das wissen wir. (17. I. 45)
Donnerstag 18. Januar 45. Vorm.
Alles wird verheimlicht, in allem ist man auf Gerüchte, auf mündlich Weitergegebenes, Uncontrollierbares angewiesen. Fest steht heute, daß Dresden diesmal weit ärger, an sehr viel mehr Stellen getroffen 1 ist als bei den früheren Angriffen. Thimig & Möbius am Jagdweg, dicht an der Bahnstrecke bekamen Sprengstücke ins dritte Stockwerk, (wo ich Pappe geschnitten habe), das Haus gegenüber wurde zerstört – 28 Tote, ein paar Verletzte brachte man zu Thilde hinüber .. * Eisenmann père spricht von rund 1 000 Opfern, wie er auf diese Ziffer kommt, weiß ich nicht. –
Gestern holte * E. ein von Stockholm angekündigtes Packet aus dem Zoll. Märchenhafte Dinge: 4 Büchsen Sardinen, 2
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Cakes, Pralinés, Bonbons, 1
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gelbe Erbsen, Suppenwürfel, Trockengemüse. Auf die Cakes hin wurden – notwendige Revanche! – * * Eisenmanns eingeladen, die auch das Trockengemüse erhielten; damit wird nach Cigaretten geangelt.
Die Bonbons gehen als kleine Dankabtragung u. Aufmunterung an * Frau Winde, die Pralinés kamen ins Luftgepäck, 2 die Sardinen wurden sogleich in Angriff genomen. Denn wer weiß, was morgen, was heute Abend ist .. In allem ist jetzt unser Leitsatz: Dann hab ich noch einmal Mürbekuchen gegessen. 3 –
Bei Steinitz gestern Nachm. Mischstimmung: Todesnähe u. Erlösungsglaube: die Russen vor Krakau, die anglo-amerik. Bomber über uns, die Gestapo hinter uns.
Heute schon erfolgreicher Brühe-, erfolgloser Kohlenweg, * Bernhard St. unterrichtet.
Lektüre: * Ulitz u. * Pleyer .
Sonnabend Vorm. 20. Januar 45 .
Gestern Tauwind u. fast 7° Wärme, heute wieder Frost u. Schnee, was mir recht ist, denn es fördert die
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