Klemperer, Viktor
harmlose Streiche, Besoffenheiten erzählt. (Erotik tritt sehr zurück, Verdauung ist beliebt.) – Der Frömmler, der Eiferer, gar der Apostel sehr unbeliebt.
Höchst charakteristisch, wie ganz am Schluß, als sich Liepe schon ganz in abgeklärter Altersweisheit u. Vorbereitung auf den seligen Tod ergeht, noch eine macabre Humoreske von höchstem Kunstwert eingeschoben wird. Im Spreewald Winters Beerdigungen: im Schlitten der Sarg, Schiebende u. Gefolge auf Schlittschuhen. Das junge Paar hat so herrlich geholländert. Nun ist die Frau tot. Man hat[,] vor Antritt des Begängnis, getrunken. Der Ehemann hinter dem Sarg fängt an zu holländern. Aus Irrtum u. Erinnerung oder zu Ehren der Toten? Die nächsten Freunde schließen sich an, dann das ganze Gefolge, zuletzt die mit dem Sarg – alles schwingt u. schaukelt. – Ebenso humorvoll der Tod des Grafen, der ein tüchtiger Bauer u. Landwirt, aber doch ein Junker mit Junkeregoismus u. -Schwäche ist. Gelage zu seinem Geburtstag. Man trinkt auf ihn, er erhebt sich mit seinem Glase u. tut Bescheid: ‹Horrido – hussassa[ssa] – faß die Sau!› u. ist dies wohl ein Jägertrinkspruch. Und er schwankte, u. sie setzten ihn in einen Stuhl, u. er sagte: ‹Vater in deine Hände› – u. war tot 361.
Der gesamte Stil des Buches ist humorbeherrscht. * Der Schreibende hält sich einerseits an die Bibel. Er kennt kein anderes Pathos als das der Bibel, er bildet feierliche, einfach coordinierende dabei langsam predigende Sätze, u. er geht unmittelbar aus der Feierlichkeit des Biblischen in die stärkste Derbheit des Volkstümlichen über. Das Volkstümliche ist für ihn aber durchaus – Gegensatz zu * Pleyer, auch zu einigermaßen zu * Schaffner – das Alltäglliche u. Aktuelle, auch das städtisch Aktuelle.
Auf die Gründerzeit folgen Pleiten u. Arbeitsnot
Wir mußten es dem lieben Gott überlassen, den Mörder (unseres Hundes) zu pieken. Siehe, er hat ihn gepickt, wenn auch erst Jahre später 265. (Siehe ist ein Lieblingsutensil, auf fast jeder Seite einmal).
Er rühmt seine Frau, erinnert sich ihrer in den Anfängen ihrer Bekanntschaft, wobei ein Dienstmädchen schelmische Rolle spielt. Er ist tief ergriffen u. dankbar: O wie wunderbar, Herr, sind deine Wege! ... Herr, ich samle meine Hände in Ehrfurcht [vor deiner Weisheit] und in Dankbarkeit für deine Gnade. Amen! Der Liese, dem Luder, hab ich es aber doch besorgt. 222.
Speziell zur LTI . In seiner volkstümlich spielenden Art, zu der ich auch die Einteilung in Stunden u. Ziffern rechne, sagt er vom 30/I 33 – dicht vorher Ich hatte alle Lust am Meckern verloren 489 –: Als es mit den Notverordnungen 1 der Regierung für das Volk nicht mehr weiterging, verordnete die Not des Volkes der Regierung den Abbruch, sich selbst den Umbruch, u. dem deutschen Volke den Aufbruch 492. Hier wird mit den Schlagworten gespielt, sympathisierend, aber doch gespielt! Und schließlich ist auch die Geburtstagsfeier[], das Begiessen in der Kneipe, wobei der vorher antinazistische Chauffeur mithält, gutmütig komisch. Ob er, Liepe denn wirklich Geburtstag feiere? Genau so gut wie Sie und Millionen andere. –
Ist es Stilbruch, wenn jemand in den siebziger Jahren sagt: Das erlaubt mir meine soziale Einstellung nicht (übrigens auch großmäulig u. komisch) Ja u. nein. Der Prahler von 187[1] sagt es gewiß nicht, aber dem Schreibenden der 30er Jahre ist es angeflogen. – –
(Wer ist * Bruno H. Bürgel 2 ? Besondere Ehrung für ihn S 479.) Er unterhält sich mit Liepe u. stellt sich dann als Bruno H. B. Bürgel vor.)
Den Natsoc genehm ist * Welk 1) durch seine Liebe zum Landleben 2) durch sein ständiges Betonen, daß Glauben wesentlicher sei als Wissen. Es komt gar nicht so sehr darauf an, an was man glaubt, es ist schon viel, daß einer glauben kann. 453 Aber auch dies steht doch wieder im reinen Widerspruch zur Intoleranz u. damit zum Ns. (5/II 45)
Sonn Monta g Vorm 5. Februar 45
Erst jetzt die * Welk-Notiz beendet. –
Gestern der Sonntag der Besuchskette, des schweren Hungerns, der mächtig ansteigenden, u. heute vorhaltenden, voire verstärkten!, Hoffnung.
Nach hungrigem Frühstück – kein Gas, keine Suppe, wenig Brod – Krankenbesuch bei * Kornblum. * E. holte mich, weil * Steinitz bei uns. Nach ihm kam * Eisenmann senior. Inzwischen arbeitete Eva (eigentlich den ganzen Tag[)] an einer Kohlrübensuppe ) . Nach wieder unzulänglicher Teemahlzeit: * Lewinsky, dem wir nicht einmal Kaffee vorsetzen konnten
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