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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Vaters, des Großindustriellen: unhaltbare Lage, äußerste Spannung in der Arbeiterschaft – aber niemand wisse, was wird, u. wie es in der Reichswehr aussehe.
    An den Schandpfahl: * Frau Fischer 2 schreibt aus Giessen an * Gusti W. (dort waren wir vorgestern): sie möchte ihren * Mann zum Philologencongreß nach Dresden begleiten, sie könne unmöglich mit zu * * Kaufmanns, der Verkehr mit den lieben guten K s[] sei ihr verboten, obschon sie selber die Alte sei, ob sie bei Gusti wohnen könne, fürs Hôtel sei sie zu arm. Diese schmutzige Kreuzung aus Schafen Schaf u. Schwein, die früher so bettelhaft bei K s schmarotzte, ahnt nichts von Gustis Nichtariertum u. politischer Gesinnung. Gusti hat ihr schroff abgeschrieben. (Diese Philologentagung erfüllt mich mit tiefster Bitterkeit.)
    Die Lauen : * Frau Kühn freundschaftlich unvermutet eine Stunde bei uns. Predigt mir unverbitterte Heiterkeit des Herzens .. Man könne auch heute noch Nazi sein aus idealen Gründen, ohne Verbrecher oder Idiot zu sein. Ich sagte ihr: sie wisse nicht, wie Entsetzliches geschehe. Ich ergänzte das * Lessingsche: wer über manchen Dingen nicht den Verstand verliere, habe keinen Verstand, durch: wer heute die Herzensruhe bewahre, habe kein Herz. Sie ging betroffen fort, sie ist eine wahrhaft gute Person.
    Der Abend, an dem wir die lauen * * Kaufmanns bei uns haben mußten , verlief weniger schlimm, als befürchtet, a) weil der Druck der Ereignisse auch diese Quallen ein wenig härtet, b) weil die junge * Frau Rosenberg angenehm mildernd wirkte. Kaufmann erzählte von der Abwehrstellung der französischen Juden gegen die deutsch-jüd. Emigranten. Er sagte: Für sie seien wir die gefürchteten Ostjuden. Er erzählte einen bösen [Vorgang] aus Tunis, wo ein deutsch-jüd. Arzt von der Regierung zugelassen, von seinen jüd. Kollegen herausgeekelt wurde. –
    Inzwischen ist * Janentzki abgebaut worden. Ich habe ihn längst menschlich zu leicht befunden u. als charakterlos fallen lassen, ich fühle jetzt ein wenig Schadenfreude – aber die Sache an sich ist trostlos. Unsere ganze Kulturwiss. Abt. zerschlagen. Wissen möchte ich, wie die * Rüdigerin über diesen Fall denkt. Sie soll schwärmerisch nach Nürnberg zum Parteitag gewallfahrtet, sein schwärmerischer noch zurückgekehrt sein.
    Inzwischen spitzt sich die Situation immer mehr zu. Nahrungsnot. – Memel. 1 – Beginn des abessynischen Krieges. 2 Wenn England sich auf Deutschland stützt, wenn die Regierung eine Anleihe von den Engländern bekomt, dann ist kein Ende der Schmach abzusehen. Im Augenblick sollen die Anleiheverhandlungen gescheitert sein. Sollen. Man tappt überall im Dunkeln, tausendmal schlimmer als im Krieg. – Übermorgen mit allergrößtem Trara Deutschlands Einigkeit u. Triumpf auf dem Bückeberg celebriert. Erntedankfest mit 10 000 Sonderzügen. Die Judengesetze hat * H. in Nbg. saecular genannt. (Fremdwort u. Unbildung u. Größenwahn. Thema der Sprache des 3. Reichs. Cf. 3 Garant.)
    Einmal, erholend, ein hübscher * Kiepura = Film mit Doppelgängerrolle: Er spielt u. singt als berühmter Tenor u. als Heringsbändiger. Harmloser Schwank, in allen Rollen ausgezeichnet: Ich liebe alle Frauen 4 . Aber vorher ein Stück Nürnberger Parteitag u. Vorlesung der Judengesetze, wenigstens des Eheverbotes. 5 – –
    Vorgelesen: * F. Körmendi Versuchung in Budapest. Großartig. Aber wieso gerade Budapest? Es könnte überall spielen. Es gibt jetzt einen europäischen Zustand u. eine europäische Kunst. (Deutschland ist nicht Europa). Mir fehlt die Zeit zum Notieren. Mein Buch frißt mich auf u. hält mich am Leben u. im Gleichgewicht. Segen der Schreibmaschine.
    * Marmontel 6 u. * Raynal 7 fertig. –
    Die Augen schlecht, das Herz schlecht. –
    Über Augenbeschwerden (gewölbte Decke!) klagte auch * Eva.
    Ich war mit ihr bei * Best 1 (da es uns peinlich ist, von * Pflugk gratis behandelt zu werden); er untersuchte, weil das Symptom bedrohlich ist, zweimal aufs sorgfältigste u. fand nichts. –
    Seit geschlagenen zwei Monaten haben wir jetzt Handwerkerei im Hause. Heute will der Maler fertig werden.
    Meine Finanzlage noch immer unentschieden. Berlin spricht nicht u. das Ruheamt zahlt b. a. w. 480 M. Wie lange werden die Reserven reichen?
    Ich habe nun doch wieder nach monatelanger Pause eine Ztg. (Dresdener N. N.) abonniert. Mir wird beim Lesen jedesmal übe[l]; aber die Spannung ist jetzt zu groß, man muß wenigstens wissen, was gelogen wird.
     

 
    19. Oktober

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