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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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wieder, wenn er den Zustand seiner Helden schildert, das Epitheton fanatisch gebraucht. Er gebraucht es scheinbar ohne Wertung, rein schildernd, rein wissenschaftlich neutral; aber er nennt doch seine Helden, die er liebt, bemitleidet, apologisiert derart, u. also hat fanatisch hier doch schon im innersten den positiven, den bewundernden Sinn[,] den ihm die LTI gibt. – Das Übermaß des Romantischen führt eben zu beiden, zu Zweig u. zur LTI. –
    Beachte noch – 1928! – den wiederholten Ausdruck einmalig : ein einmalig Wilder, ein geniales Geschlecht (die * Shakespearegruppe) hat einmalig für Tausende gelebt. (Wer hat das als Erster auf dem Gewissen??)
    Auch einstellen (mein Gespräch war auf Berliner Ansprechcodex eingestellt 194) ist schon da.
     
    x x x
     
    – – Inzwischen hat * E. meine Notizen nachgelesen u. macht mich auf ein Allerwichtigstes aufmerksam, das ich aus den Reden der schlesischen Bäuerin in Neustadt fortließ. Sie beklagte sich über die deutsche Einquartierung ; die Soldaten hätten so vieles gemaust oder einfach u. offen genommen. Ihr seid doch nicht in der Polakei! hab ich Ihnen gesagt. Cf. die Geschichte der Dolmetscherin aus der Krim, die ich vor einiger Zeit durch E. hörte: die alten Bauern dort blieben ohne Furcht vor den deutschen Soldaten. Die jungen flohen u. warnten vorher die alten, es seien nicht mehr dieselben Deutschen. Die deutschen Soldaten kamen u. plünderten. –
    ½ 12 eben u. prompt Alarm. Kleiner; so gehen wir doch zum Mittagessen oder zu * Trude Scherner.
    19 h. oben Wir kommen totmüde u. schwer hungernd von unserer Wanderung u. finden * Scherner hier oben: Ich annonciere für Euch, Ihr müßt irgendwo in einem Nachbardorf unterkommen, von Montag ab muß ich hier oben eine Lehrlingin aufnehmen, es ist Befehl. – Ich kann das noch nicht übersehen, es ist ein Schlag auf den Kopf, es ist wahrscheinlich ein Todesurteil, bestimmt eine entsetzliche weitere Verschlechterung der Situation – noch mehr Enge, noch mehr Hunger, obschon das unvorstellbar, erneut akute Gefahr –, es ist wahrscheinlich überhaupt undurchführbar, denn die Dörfer ringsum sind gestopft voll. Ich muß abwarten, was Scherner uns weiter eröffnet; er sprach vorderhand nur ein paar Worte in Gegenwart der * Uhlmann, die irgendwelche Ware aus dem Schrank hier holte. Ich lese inzwischen vor, ich mache irgendwann meine Notizen über den heutigen Nachmittag, die Zeit vor dem neuen Schlag auf den Kopf.
    21 h . Wir hatten von 11 30 –12 30 den ersten, dann nach Tisch unterwegs von 13 30 bis gegen 15 h den zweiten kleinen Alarm, u. eben um 21 h blies der dritte , bisher auch nur klein.
    Sch. sagte vor dem Fortgehen, die Lehrlingin, die er Montag bekomme, sei aus stark nazistischer Dresdener Familie, ihre Eltern, ebenfalls ausgebombt, sitzen in Rodewisch, sie wird hier tagüber Dienst tun u. Nachts bei den Eltern schlafen – der Bus nach Auerbach geht weiter bis Rodewisch. Da sei es allzu gefährlich, uns hier im Hause zu lassen, u. das Weitere soll nun morgen früh besprochen werden. Ich sehe eine Verhundertfachung der Gefahr – aber wir sind zu erschöpft, die neue Sachlage jetzt durchzudenken. Sobald der Alarm vorüber, wollen wir zu Bett. (Die gestrige Nacht war kurz, die heutige Wanderung lang u. der Hunger wieder ständiger Begleiter.[)] (Grauenhaft dieses ständige hungrig mit essen aufhören müssen, abscheulicher noch das ständige Besessensein von Essvorstellungen.)
    Wir gingen also, wieder bei schönem Wetter, von Meyer aus bald nach 1 Uhr denselben Kamweg der alten Auerbacher Str. wie neulich. – Hier kommt Vollalarm . – Falkenstein geht in Ellefeld über, und in Ellefeld liegt zur Linken ein großer Friedhof mit großer Kapelle terrassenförmig ansteigend u. oben Blick gebend in das Hochplateau mit Horizontgehügel im sonst verdeckten Westen. Der Friedhof, den wir lange durchwanderten[,] hat schönen Nadelholzschmuck, ist in viele Felder gegliedert u. sehr gepflegt. Auffallend die häufige Wiederkehr einiger Familiennamen, die auch auf den Firmenschildern der Stadt dominieren. Das lebt hier seit Generationen u. versippt sich untereinander, Thoss z.B. Sehr geschmacklos ein besonderes Kinderfeld, wo jeder Stein (unser Liebling) ein Engelchen oder eine süße Kindergestalt trägt. Unmittelbar an Ellefeld wiederum schließt Auerbach, u. dessen erstes Haus ist die Augustusruh, das Gasthaus[,] in dem wir neulich saßen. Dort tranken wir wieder Kaffee. Es war noch ein altes Ehepaar da, er

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