Klemperer, Viktor
dies ménage, bis in alle Einzelheiten * E. s Invention, wird nun vorläufig doch noch nicht auf Reisen gehen. Sch. war bei uns oben u. sagte, daß das gefürchtete * Frl. Otto erst am 1. April u. nicht heute bei ihm anfange – am Sonnabend hat sich das Mädel nur vorgestellt. Wir sollten also so lange quieta non movere 1 – u. bis dahin ist der Krieg vielleicht zuende. Danach xxxx ist nun auch E. für Bleiben. Ich selber fühle mich recht willenlos.
Seit ich zu schreiben begonnen habe, seit ½ 12 also, stehen wir wieder unter kleinem Alarm . * Sch. war heute Vormittag sehr gesprächig. Er habe gestern mit dem Oberstabsarzt * Dettke gestritten. Der Mann sei Balte u. als solcher Nationalist, er habe von den Bolschewiken Verfolgung erlitten, er sehe im Natsoc. das völkische, im Bolsch. das internationale Princip verkörpert, er sage * Hitler habe die Judenfrage um der Masse willen centralgestellt, u. weil er vor der Masse simplificieren u. tarnen müsse, auch sei der jüdische Anteil an der deutschen Intelligenzschicht übergroß, u. zu alledem habe der Oberstabsarzt eben gut sattzuessen. – Ich fragte: Und seine * Frau? (die übrigens selber praktische Ärztin ist, die Leute praktizierten in Glatz): Ist eben seine Frau.
Ich fragte Sch. noch, wie die junge * Uhlmann zu ihrer dominierenden Stellung kome. Wir sahen am gestrigen Sonntag, wie sie buchstäblich als seine Stellvertreterin dirigiert, anordnet, herrscht. Er erzählte: Während er nach seinem Schlaganfall zur Kur in Tölz war – die U. war damals etwa ein Jahr bei ihm u. 20 Jahre alt, heute ist sie 24, ihr * Vater hat einen kleinen Colonialwarenladen hier, ist incarnierter Nazi, 2 sie selbst war ihm unsympathisch u. er hielt sie in Distanz, weil sie blond ist, mir sind die Blondinen immer zuwider gewesen (!) – conspirierte sein Apothekenpersonal gegen ihn, d.h. ein Mann denunzierte ihn bei der Gestapo in Plauen, er habe sich widerrechtlich zum Schaden der Volksgemeinschaft aus dem Apothekenbestand Zucker schicken lassen. Die übrigen Angestellten unterschrieben das; die U. unterschrieb nicht mit, aber sie benachrichtigte Sch. auch nicht, nahm nicht seine Partei, machte sich einigermaßen mitschuldig. Sch. focht die Sache vor der Apothekerkamer zu seinen Gunsten durch, zahlte der Gestapo 2 000 M Strafe, warf den Hauptschuldigen hinaus, entzog dem übrigen Personal sein Vertrauen, insbesondere * Frl. Fischer, die seit 15 Jahren, von Anfang an, bei ihm tätig ist, (die uns neulich, sie allein, als alte Bekannte begrüßt hat) u. der eigentlich die Schließerin-Stelle gebührte, die jetzt der blonden U. gehört. Die U. nun brach, als Sch. ihr die innere Unanständigkeit ihres Verhaltens unter vier Augen vorwarf, in heftigster Reue u. endlosen Thränen u. Selbstanklagen zusammen; sie berichtete am nächsten Tag, auch ihr Vater, der Nazi, habe ihr Verhalten gemein genannt, u. er wolle sie aus dem Hause weisen, wenn sie nicht Sch. s Verzeihung erlange; sie bettelte um sein Vertrauen, versprach in allen Tonarten Besserung. Daraufhin zog Sch. das Mädchen ernsthafter ins Geschäft, prüfte, beobachtete sie von allen Seiten, gewann wohl auch paedagogisches Interesse, paedagog. Einfluß auf sie, u. so entstand das gegenwärtige Verhältnis. Er sagt: sie ist wie meine Tochter, sie allein hat mein Vertrauen – meine * Frau denkt ebenso über sie –, sie ist in meiner Abwesenheit meine Stellvertreterin, sie ist die Beschließerin, mein übriges Personal weiß das, sie spricht wie ich, u. sie spricht an meiner Statt. Sie soll einen Civilingenieur hier heiraten, der im Ort bleiben soll, weil sie auch als Frau den Posten bei mir weiter bekleiden will ... Und Deine u. ihre Stellung zum Nationalsocialismus? – Die Politik lassen wir ganz beiseite.
Gegen 17 h . Der heutige Tagesalarm, genauer die heutigen Tagesalarme 11 30 –12 20 , 12 40 –15 30 . Es war also, während ich vormittags notierte, um ½ 12 kleiner Alarm gekomen. Wir gingen zu Meyer, u. als wir den Rathausplatz passierten, wurde entwarnt. Wir begannen nach langem Warten zu essen, da hieß es – aber niemand hatte es genau gehört – es sei neuer Alarm gegeben. Wir aßen die letzten Bissen, da kam * Meyer aufgeregt, jetzt sei Vollalarm, niemand dürfe das Haus verlassen, alles solle sich außer Sicht des Schaufensters setzen, denn draußen stehe ein Schutzmann, u. wenn der das Lokal in Betrieb sehe, koste das böse Geldstrafe. Meyers Unruhe wuchs, u. noch ein paar Minuten später trieb er alles in den
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